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Der Mann im Park: Roman (German Edition)

Der Mann im Park: Roman (German Edition)

Titel: Der Mann im Park: Roman (German Edition)
Autoren: Pontus Ljunghill
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Meinen Eltern ist das gar nicht aufgefallen, und in meinen ersten Lebensjahren hatte ich nie Probleme damit. Doch dann fing ich in der Volksschule an. Ich gehörte immer zu den Stillen, deshalb landete ich ganz hinten im Klassenraum. Die Lauten mussten immer vorn sitzen, die Jungs, die so viel störten, damit die Lehrerin ein Auge auf sie haben konnte. Ich … Ich habe nie Probleme gemacht. Drei Jahre lang habe ich hinten gesessen. Und ich habe nicht einmal die Hälfte von dem gehört, was da vorn an der schwarzen Tafel gesagt wurde. Und ich habe Fragen falsch beantwortet. Ich konnte doch nicht immer sagen: ›Entschuldigung, ich habe es nicht gehört, Frau Lehrerin‹, nicht zehnmal hintereinander. So wurde ich abgestempelt als dumm. Als Idiot. Obwohl ich begabter war als die meisten anderen Kinder in der Klasse. Aber für sie war ich ein Idiot. Darum sind sie über mich hergefallen.«
    »Die anderen Kinder in der Schule?«
    »Vor allem die Rabauken, die ganz vorne saßen, aber die anderen wurden mitgezogen. Vielleicht blieb ihnen ja gar nichts anderes übrig. Alle außer Arvid.«
    »Er ließ Sie in Ruhe?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Weil es ihm noch schlimmer erging als mir. Weil sie ihn noch viel schlimmer verprügelten als mich. Er war klein und zart, das war er immer gewesen. Wenn sie ihn geärgert haben, hat er sich nie gewehrt. Hat alles erduldet. Als wäre er diese Erniedrigung schon gewohnt, als wäre sie ein Teil seines Lebens. Er schluckte alles, wehrte sich nie. Und das hat alles nur schlimmer gemacht. Aber dieses Ausgestoßensein, das hat uns zusammengeführt. Ich kann mich immer noch an diesen Spottvers erinnern, den sie ihm nachgerufen haben. Tag für Tag, Jahr für Jahr: ›Der Spatz ist so schrecklich klein, dünn wie Streichhölzer sind seine Bein’.‹«
    Einen Moment lang schwieg Stierna und ließ Ivar Hammars Bericht auf sich wirken.
    »Sie sagen, er hat alles geschluckt, als wäre er Erniedrigungen gewohnt. War er das denn?«
    »Ja, davon bin ich überzeugt. Gelegentlich war ich bei ihm zu Hause. In seinem Elternhaus fehlte die Liebe. Seine Mutter, sie war … gefühlskalt. Nicht alle Menschen kommen damit zurecht, ein Kind zu haben. Ich habe nie erlebt, dass sie ihn auf den Schoß genommen hat, er schien unerwünscht zu sein, von Anfang an. Trotzdem ist es möglich, dass sie ihn geliebt hat, auf ihre Art. Aber sein Vater … Nein.«
    »Wer war sein Vater?«
    »Er hat auf dem Bahnhof in Ramberg gearbeitet. Damals war er ziemlich groß, viele Züge kamen und fuhren. Er war Stins, Stationsinspektor, Bahnhofsvorsteher, war wohl von der Gemeinde eingestellt worden. Aber er war ein Schwein. Das war auch so einer, der sich nie hätte Kinder anschaffen dürfen.«
    Stierna spürte, wie sein Puls schneller wurde, das Herz heftiger schlug.
    »Ein Stins? Sein Vater war Bahnhofsvorsteher?«
    »Ja. Am Ramberger Bahnhof.«
    »Hat Arvid Enberg seinen Vater gehasst?«
    »Ich weiß es nicht. Aber es würde mich nicht wundern. Sein Vater war kein guter Mensch. Er starb an einem Schlaganfall, glaube ich. Er liegt auf dem Friedhof von Lyvik, genau wie die anderen. Obwohl, Arvid liegt ja nicht da, nur sein Name steht auf dem Stein.«
    »Die Familie ist wieder vereint«, murmelte Stierna.
    »Die Familie, die eigentlich nie eine war«, erwiderte Hammar.
    »Und seine Mutter?«, fragte Stierna. »Was hat sie gemacht?«
    »Sie war Hausfrau, war zu Hause mit dem Kind. Sie war unglaublich passiv.«
    »Aber der Vater, der war nicht passiv?«
    Hammar sah Stierna mit traurigem Blick an, bevor er antwortete.
    »Nein, der hat zugeschlagen. Er hat Arvid verprügelt. Ich habe es ein paarmal mit ansehen müssen, und ich habe nie verstanden, warum. Ich war damals noch klein, aber … Ich verstehe es auch heute noch nicht.«
    »Sie waren dabei, als der Vater ihn geschlagen hat?«
    »Ja, aber die blauen Flecke habe ich viel öfter gesehen. Die stammten von dem Schlagstock.«
    »Sein Vater hat ihn mit einem Schlagstock geschlagen?«
    »Ja, soweit ich verstanden habe, war das ein Erbstück. Ein Onkel seines Vaters war Landpolizist gewesen, irgendwo im Norden. Der Onkel war schon tot und hatte den Schlagstock dem Vater vermacht.«
    »Wie sah der Schlagstock aus?«
    »Schwarz, glaube ich. Aus Holz.«
    Wie im 19. Jahrhundert, dachte Stierna. Diese schwarz lackierten Holzschlagstöcke mit Handgriff. Wie er ihn selbst noch getragen hatte. Ingrid Bengtsson war mit etwas Länglichem, Stumpfem erschlagen worden. Vielleicht ein Rohr, aber
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