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Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Titel: Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte
Autoren: Oliver Sacks
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sich bei diesen Zetteln um eine zweite Magna Charta. Er wäre von Nutzen, und andere und er selbst würden Freude daran haben. Das alles könnte er tun - aber leider wird nichts davon eintreten, solange nicht ein verständnisvoller und geschickter Mensch ihm die Gelegenheit dazu gibt, ihn anleitet und beschäftigt. Denn so, wie die Dinge liegen, wird er wahrscheinlich nichts tun und, wie so viele andere Autisten, weiterhin unbeachtet ein nutzloses, fruchtloses Leben in einer unscheinbaren Station der staatlichen Nervenheilanstalt fristen.
Nachschrift
    Nach der Veröffentlichung dieses Aufsatzes erhielt ich wieder zahlreiche Separatdrucke und Briefe, von denen der interessanteste der von Clara C. Park war. Obwohl Nadia vielleicht ein einmaliger Fall, eine Art Picasso war, ist tatsächlich deutlich geworden (wie Nigel Dennis schon vermutete), daß recht hohe künstlerische Begabungen bei Autisten nicht ungewöhnlich sind. Testverfahren zum Nachweis eines künstlerischen Potentials, zum Beispiel der Goodenough-«Zeichne einen Mann» Intelligenztest, sind praktisch wertlos: Es muß sich um eine spontane, wirklichkeitsgetreue Darstellung handeln.
    In einer profunden, reich illustrierten Rezension von ‹Nadia›
    hat Clara C. Park 1978 deutlich gemacht, worin die Hauptcharakteristika solcher Zeichnungen zu bestehen scheinen. Dazu gehören «negative» Charakteristika wie abgeleiteter und gleichförmiger Stil, aber auch «positive» Merkmale wie die ungewöhnliche Fähigkeit zur zeitlich verzögerten Wiedergabe und die Darstellung des Objekts als etwas Wahrgenommenes, nicht als etwas Vorgestelltes (daher die besonders ins Auge fallende inspirierte Naivität). Park weist auch auf eine relative Indifferenz gegenüber den Reaktionen anderer hin, die den Anschein erweckt, als seien solche Kinder unerziehbar. Und doch ist dies offenbar nicht unbedingt der Fall. Diese Kinder sind nicht immer unempfänglich für Aufmerksamkeit oder Anleitungen- allerdings muß ihre Unterweisung unter Umständen auf ganz besondere Art erfolgen.
    Neben ihren Erfahrungen mit ihrer Tochter, die inzwischen erwachsen und eine anerkannte Künstlerin ist, schildert Clara C. Park die faszinierenden und nur wenig bekannten Erfolge, die japanische Wissenschaftler, vor allem Morishima und Motzugi, zu verzeichnen haben. Ihnen ist es gelungen, begabten autistischen Kindern, die nicht gefördert wurden und scheinbar unerziehbar waren, dabei zu helfen, vollwertige professionelle Künstler zu werden. Dabei stützt sich Morishima auf eine besondere Technik der strukturierten Unterweisung und auf eine Art Lehrzeit, wie sie in der klassischen japanischen Kultur üblich ist, aber auch auf ein Verfahren, das die Patienten dazu ermutigt, Malen als Mittel der Kommunikation einzusetzen. Aber eine solche formale Ausbildung allein, so unabdingbar sie auch sein mag, reicht nicht aus. Zusätzlich ist eine sehr enge, persönliche Beziehung erforderlich. Die Sätze, mit denen Clara C. Park ihre Rezension schließt, sind auch ein passender Abschluß für dieses Kapitel: «Das Geheimnis liegt wahrscheinlich woanders, nämlich in der Hingabe, mit der Motzugi mit einem geistig behinderten Künstler zusammenlebte und schrieb: ‹Das Geheimnis der Entwicklung von Yanamuras Talent lag darin, an seinem Gast teilzuhaben. Der Lehrer sollte den geistig Behinderten in all seiner Schönheit und Aufrichtigkeit lieben und gemeinsam mit ihm in seiner unverfälschten und retardierten Welt leben. ›»

Allgemeine Literaturhinweise
    John Hughlings-Jackson, Kurt Goldstein, Henry Head, A. R. Lurijasie sind die Väter der Neurologie. Ihr Leben war ihren Patienten gewidmet, über deren Schwierigkeiten, die sich gar nicht so sehr von unseren Problemen unterscheiden, sie intensiv nachdachten. In den Gedanken eines Neurologen sind diese Männer immer gegenwärtig, und ihr Geist lebt auch in diesem Buch fort. Wir sind geneigt, komplexe Persönlichkeiten auf Stereotypen zu reduzieren und die Fülle und oft ausgeprägte Widersprüchlichkeit ihrer Gedanken zu beschneiden. So spreche ich oft von der klassischen, «Jacksonschen» Neurologie, aber der Hughlings-Jackson, der über «Traumzustände» und «Erinnerungen» schrieb, unterschied sich sehr von jenem Hughlings-Jackson, für den alles Gedachte ein planvolles Kalkül war. Der erstere war ein Dichter, der letztere ein Logiker, und doch sind beide in ein und demselben Mann vereint. Henry Head mit seiner Leidenschaft für Diagramme und Schemata
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