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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman
Autoren: Ken Follett
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Blumenzimmer. Er nahm seine Kerze und ging durch die Verbindungstür. Jetzt befand er sich in einem kleinen, kalten Raum mit einem Marmortisch und einem steinernen Waschbecken. Er hörte Schritte. Sofort drückte er die Kerze aus und duckte sich. Das Geräusch kam von draußen, vom Kiespfad; es mußte eine der Wachen sein. Das Licht einer Fackel drang durch das Fenster. Felix stellte sich dicht an die daneben befindliche Tür. Das Licht wurde heller, das Geräusch der Schritte lauter. Sie hielten vor dem Haus, und die Fackel leuchtete durch das Fenster. In ihrem Licht sah Felix ein Gestell über dem Waschbecken und einige Werkzeuge, die dort an Haken hingen: Gartenscheren, Baumscheren, eine kleine Hacke und ein Messer. Der Wachpolizist versuchte die Tür zu öffnen, vor der Felix stand. Sie war verschlossen. Die Schritte entfernten sich, und das Licht verschwand. Felix wartete eine Weile. Was würde der Mann tun? Wahrscheinlich hatte er den Schimmer der Kerze gesehen. Aber er konnte auch glauben, es sei der Widerschein seiner eigenen Fackel gewesen. Vielleicht war der Wachpolizist auch nur einer von den Übervorsichtigen und wollte sich überzeugen, daß die Tür gut verschlossen war.
    Felix schlich sich vom Blumenzimmer durch das Waffenzimmer in die Bibliothek, tastete sich an Wänden und Möbeln entlang, ließ die Türen offen, die erloschene Kerze in der Hand. In der Bibliothek setzte er sich hinter einem großen Ledersofa auf den Fußboden und zählte langsam bis tausend. Niemand kam. Der Wachpolizist hatte also keinen Verdacht geschöpft.
    Er kehrte ins Waffenzimmer zurück und zündete die Kerze an. Die Fenster waren mit schweren Vorhängen bedeckt – im Blumenzimmer hatte es keine Vorhänge gegeben. Er schlich sich vorsichtig in das Blumenzimmer, nahm das Messer, das er auf dem Gestell gesehen hatte, kam ins Waffenzimmer zurück und beugte sich über das Gewehrgestell. Er benutzte die Klinge des Messers, um die Schrauben, die den Haken hielten, von der Holzwand zu lösen. Das Holz war alt und hart, aber schließlich lösten sich die Schrauben doch und er konnte die Waffen herausnehmen.
    Drei Schränke befanden sich in dem Zimmer. Der eine enthielt Cognac-und Whiskyflaschen sowie Gläser. Im zweiten fand er gebundene Exemplare einer Zeitschrift namens Pferd und Hund und ein großes in Leder gebundenes Heft mit der Inschrift »Jagdbuch«. Der dritte war verschlossen: In ihm befand sich höchstwahrscheinlich die Munition.
    Felix brach das Schloß mit dem Gartenmesser auf.
    Unter den drei verfügbaren Waffenarten – Winchester, Doppelflinte oder Elefantenbüchse – zog er die Winchester vor. Als er jedoch die Munitionskästen durchsuchte, stellte er fest, daß sie weder für die Winchester noch für die Elefantenbüchse Patronen enthielten. Diese Waffen wurden wahrscheinlich nur als Andenken aufbewahrt. Er mußte sich also mit einer Flinte zufriedengeben. Alle drei waren vom Kaliber zwölf, und die Munition bestand nur aus Schrotpatronen der Größe Nummer sechs. Um seinen Mann zu töten, mußte er aus naher Entfernung auf ihn schießen – nicht weiter als zwanzig Meter. Und er hatte nur zwei Schuß, dann mußte er neu laden.
    Wenn schon, dachte er, ich will ja nur zwei Leute töten.
    Das Bild Lydias, wie sie auf dem Boden des Kinderzimmers lag, ließ ihn nicht los. Der Gedanke an den Liebesakt erfüllte ihn mit einem Gefühl des Triumphes. Er empfand nicht mehr die Niedergeschlagenheit, die ihn kurz danach gepeinigt hatte. Warum sollte ich sterben? beruhigte er sich. Und wenn ich Waiden erst einmal getötet habe, wer weiß, was dann noch alles geschehen kann?
    Er lud die Waffe.

    Lydia beschloß: Jetzt muß ich mich töten.
    Sie sah keine andere Möglichkeit. Zum zweitenmal in ihrem Leben hatte sie die Wonnen der Verruchtheit bis zum letzten ausgekostet. All die Jahre der Selbstdisziplin waren umsonst gewesen, nur weil Felix wieder in ihr Leben getreten war. Mit der Erkenntnis ihrer wahren, lasterhaften Natur konnte sie nicht weiterleben. Sie wollte sterben – jetzt.
    Sie überlegte, wie sie es tun könne. Gift? Irgendwo im Haus mußte es Rattengift geben, aber natürlich wußte sie nicht, wo. Eine Überdosis Laudanum? Das war nicht sicher genug. Gas? Stephen hatte das ganze Haus auf elektrischen Strom umstellen lassen. Sie fragte sich, ob die obersten Stockwerke hoch genug waren, so daß sie sich mit einem Sprung aus dem Fenster das Leben nehmen konnte, doch dann hatte sie Angst, sie könnte sich nur das
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