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Der Mann auf dem Einhorn

Der Mann auf dem Einhorn

Titel: Der Mann auf dem Einhorn
Autoren: Hans Kneifel
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von ihnen wirklich kannte, von Feithearn eine gewaltige Kraft erforderte. Aber sie sahen, dass die Energien des Zauberpriesters wirkten und auch auf den schmalschultrigen Kameraden übergriffen. Der Dämon gehorchte dem Priester.
    Der Caer, Torasc nannte man ihn, stöhnte auf. Sein Grinsen erstarb. Er fühlte in den Armen und Fingern eine neue, prickelnde Kraft. Die Schwarze Magie fing an, ihn zu verändern. Er wusste: Er würde keine Kälte spüren und keine Erschöpfung. Die Speere, die er schleuderte, würden ins Ziel treffen. Eine große Ruhe und Sicherheit kam über ihn. Magie würde ihn nun leiten und ihm die Kraft mehrerer Männer verleihen. In seiner Vorstellung und seiner Überzeugung fand eine Wandlung statt. Eine ruhende Kraft füllte ihn aus, sie würde ihn zu ungeahnten Leistungen befähigen, sobald er sich auf den Rücken des herrlichen Tieres schwang und in den Schnee hinausgaloppierte.
    Den Rest der Beschwörung hörte er nur noch als monotone Folge undeutlicher Wörter und Begriffe.
    Dann trat er dicht an das Tier heran, griff nach dem dünnen Riemen des Zügels und hob die Wurfspeere in seiner Hand. »Ich bin bereit«, sagte er mit völlig veränderter Stimme. »Ich weiß, was ich zu tun habe. Wann soll ich reiten?«
    Auf seltsame Weise schienen Reiter und Pferd miteinander zu verschmelzen. Sie bildeten schon jetzt, da noch die Füße des Caer den Boden berührten, eine unlösbare Einheit.
    »Kurz vor Mitternacht«, sagte Feithearn leise. Er taumelte. Zwei Krieger sprangen auf ihn zu und ergriffen ihn an den Oberarmen. Sein Atem ging laut und rasselnd. »Und hierher kehrst du zurück.«
    »Ich weiß es!« versicherte Torasc. »Ich bin der Gegenreiter.«
    Feithearn sackte zusammen. Es war, als habe alle Kraft seinen Körper verlassen. Er flüsterte heiser: »Bringt mich zurück in den Palast.«
    Seine Leibgarde schleppte ihn aus dem Lagerhaus und hob ihn in den Sattel des Pferdes. Fackeln wurden geschwenkt, als die zehn Mann langsam aus dem Hafengebiet herausritten und den Weg zum Stadttor einschlugen. Das war ein Signal für die Posten, sich zurückzuziehen. Nur ein paar Männer blieben zusammen mit dem Gegenreiter in dem Bauwerk zurück. Sie hatten Futter hierhergebracht, es gab für Torasc und die Wächter weiche Lager und genügend Nahrungsmittel. Die Nyrngorer hatten nichts gesehen, und überdies waren weder der Reiter noch sein falsches Einhorn als das zu erkennen gewesen, was sie in wenigen Stunden darstellen sollten.
    Nur einer der Caer fragte seinen Kameraden flüsternd: »Was aber passiert, wenn Hester und Torasc vor den Mauern aufeinandertreffen? Wird Feithearns Magie siegen? Oder…?«
    Der andere hob die Schultern und spuckte aus. »Ich hoffe, der Speer von Torasc trifft so gut wie die Würfe des echten Einhornreiters.«
    »Ich hoffe, dass es bald Sommer wird«, murmelte sein Freund sarkastisch.
    Einige Stunden später zogen sie ein Tor des hölzernen, zugigen Gebäudes auf. Torasc schwang sich mit einem gewaltigen Satz auf den breiten Rücken des Hengstes. Die Stiefel des Caer schlüpften in die unsichtbaren Schlaufen, die Hand, die den Zügel hielt, fuhr durch einen anderen Griff am Gurtband. Drei kurze Wurfspeere nahm der Caer in die Hand, dann setzte er die mit Ruß geschwärzten Sporen ein und galoppierte an. Wie ein schwarzer Blitz schoss der Hengst durch das Tor hindurch. Der Hufschlag wurde als Echo zwischen den Mauern hin und her geworfen, dann wechselte er über in den knirschenden Schnee.
    Aus der Ferne hörten die zurückgebliebenen Wachen das schauerliche Heulen des Wolfes. Auch der echte Einhornreiter war wieder vor den Stadtmauern.
    *
    Erst nachdem Mythor das Pergament mit dem Bildnis der schönen Unbekannten wieder sorgfältig unter dem Wams versteckt hatte, fühlte er sich etwas besser. Seine Unruhe blieb, aber gleichzeitig mit den unbeschreiblichen Empfindungen während des fast andachtsvollen Betrachtens waren andere, höchst überraschende Gedanken deutlich geworden. Mythor gab dem Pferd einen kurzen Schenkeldruck und ritt weiter.
    Der Helm drängte ihn jetzt abermals in eine andere Richtung: nach Südwest.
    »Und was werde ich dort finden? Wieder Wildländer, die mich hassen?« fragte Mythor laut.
    Ein Wind, dessen Töne aufwärts und abwärts glitten und eine heulende Melodie über das freie Geländestück bliesen, zerrte an ihm und riss den Schaum von dem Maul des Pferdes.
    Es war noch nicht lange her, seit er den ersten deutlichen Hauch der Bestimmung gespürt
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