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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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im schwachen Schein der Öllampe, wusch sich schweigend alles vom Leib, die Dunkelheit wurde von einem nassen, jähen Plätschern bespritzt, er ging schlafen. Die Mutter fragte inmitten der Benommenheit des Abendessens, im Zentrum des Hauses:
    »Und der Schreibwarenladen?«
    »Geht so«, antwortete der Vater.
    Virgínia ging am Zimmer ihrer Großmutter vorbei, blieb zufrieden einen Augenblick lang vor der Tür stehen, um ihrem Schnarchen zuzuhören. Sie schnarchte nicht scharf geradlinig sondern durch ein paar Flügel. Der Klang begann weit, sammelte sich um einen schmalen Mittelpunkt und weitete sich dann erneut. Ein Flügel in Bewegung, das war ihr zufriedenes, eigentümliches Schnarchen. Virgínia betrat das Zimmer mit geschlossenen Augen, fühlte sich inmitten eines Ausbreitens von Schwingen, die zart waren, heiser und rasch, als ließe die alte Frau mit jedem Ausatmen ein verschrecktes Vöglein ziehen. Und wenn sie aufwachte – sie erwachte immer ruckartig, sah sich entsetzt um, als hätte man sie im Schlaf womöglich in eine andere Welt versetzt, und warf Virgínia einen bösen Blick zu –, wenn sie aufwachte, schnitt sich das Geräusch zu einer geraden Linie zusammen, und ein kleiner Vogel, halb freigelassen in einem Mund, verharrte zitternd und licht und wurde mit einem leisen Gluckern aufgesogen. Die Großmutter verließ das Zimmer nicht mehr, eine Schwarze, die bei ihr aufgewachsen war und seither in ihrem Dienst stand, brachte ihr die Mahlzeiten. Sie ging nur nach unten, wenn die Verwandten aus dem Süden sie besuchen kamen. Esmeralda, Daniel und Virgínia hatten die Pflicht, sie wenigstens einmal am Tag in ihrem Zimmer aufzusuchen, um sich segnen zu lassen und ihr etwas wie einen schnellen Kuss auf die Wange zu drücken. Und sie besuchten sie nie öfter als dieses eine Mal. War die Schwarze einmal krank, oblag es Virgínia, zur Großmutter zu gehen und ihr Gesellschaft zu leisten. Sie machte sich munter daran. Die Großmutter saß da, sagte nichts, lachte nicht, blickte kaum um sich, als genügte es ihr nun, zu leben. Manchmal flackerte etwas in ihr auf, ein rascher Ausdruck, der über das listige, schamlose Gesicht zog. Virgínia sprach leise, so dass sie die Worte nicht hörte und wütend wurde. Ihr größter Ausdruck der Wut oder Verachtung bestand darin, zur Seite auszuspucken; trocken, wie ihr Mund war, hatte sie Schwierigkeiten, genügend Speichel zusammenzubekommen; und dann vergaß sie ihren Zorn und versuchte einfach nur auszuspeien – an der Tür lehnend, das Gesicht ganz still und schmal, sah Virgínia zu. Die alte Frau schien einen Moment lang zu überlegen, den Kopf zur Seite geneigt, in ebender Haltung, in die ihre Wut sie versetzt hatte; dann gab sie den Versuch auf, mit einem Ausdruck von zufriedener Gewandtheit, als hätte sie allen zum Trotz Spucke gespart; sie versank erneut in Reglosigkeit, die glänzenden Augen blinzelten immer wieder durch ihre Schlitze hindurch. Virgínia bebte vor Abscheu und Angst. Sie sah der Großmutter zu, wie sie schwerfällig die Hand hob und sich langsam und unbeholfen die trockene Nase kratzte. »Will einfach nicht sterben, die verflixte Alte«, wiederholte sie leise und ärgerlich für sich den Satz des Dienstmädchens. Aber auf einmal nieste die Großmutter wie eine Katze in der Sonne, und etwas mischte sich in Virgínias Angst, ein beschämtes und unwilliges Mitleid beschwerte ihr die Brust. »Will einfach nicht sterben, das herzliebste Mütterchen«, wiederholte sie. Das Zimmer versank vor ihren offenen und starren Augen in Dunkel, während sie den Körper mit vollem Gewicht an die Türe lehnte. Und auf einmal schien eine Bewegung aus Leben hereinzubrechen und auf dieselbe Ebene zu stürzen – das Gefühl zu fallen, wenn man schläft. Unwandelbar, unwandelbar.
    Aber manchmal war ihr Leben so schnell. Lichter bewegen sich ohne Richtung, Virgínia beobachtet den Himmel, die Farben glänzen unter der Luft. Virgínia bewegt sich ohne Richtung, die Klarheit ist die Luft, Virgínia atmet Klarheit, Blätter beben, ohne es zu wissen, Virgínia denkt nicht, die Lichter bewegen sich ohne Richtung, Virgínia beobachtet den Himmel … Manchmal war ihr Leben so schnell. Ihrem Mädchenkopf schwindelte, sie blickte aufs Feld, das sich vor ihr erstreckte, sah nach Granja Quieta hinüber, das sich schon in der Ferne verlor, und schaute, ohne verstehen zu wollen. In Brejo Alto gab es kein Meer, doch man konnte schnell aufs weite Flachland hinaussehen, gleich
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