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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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darauf die Augen schließen, ins eigene Herz dringen und wie ein Kind, wie ein Kind, das zur Welt kommt, den süßlich fauligen Geruch des Meeres aufsaugen. Und selbst wenn der Tag in diesem Moment hart und neu sein mochte, die Pflanzen trocken von Staub, die Wolken rot und heiß vor Sommer, wenn die rauen Sonnenblumen am Ende ihrer dicken Stängel sich wiegten gegen den Raum, selbst wenn die glückliche Feuchtigkeit nahe am Wasser gelegener Landstriche fehlte … einmal spross unvermittelt ein Vogel aus der Ebene, ließ das Herz eilig schlagen in blassem Schreck. Und das war frei und schwerelos, als spazierte jemand am Strand entlang. Sie war nie in die Nähe des Meeres gekommen, aber sie wusste, wie das Meer war, sie zwang ihr Leben nicht, es in Gedanken auszudrücken, sie wusste, das war genug. Wenn man es am wenigsten erwartete, brach die Nacht herein, die Eule rief, Daniel konnte sie von einem Augenblick auf den nächsten auffordern, mit hinauszugehen, jemand konnte an der Tür erscheinen und eine Nachricht überbringen, sie und Daniel liefen, um zu hören, worum es ging, das Hausmädchen konnte krank werden, sie selbst auf einmal später aufwachen – so endgültig einfach war sie zu der Zeit. Unerwartetes gab es nicht, und das Wunder war die sich offenbarende Bewegung der Dinge; sollte auf ihrem Körper doch eine Rose sprießen, Virgínia würde sie vorsichtig pflücken und sich ins Haar stecken, ohne zu lächeln. Es gab eine gewisse Freude, verwundert, zart und ohne komischen Beiklang – wo? ach, in einer Farbe, in den kühlen Pflanzen, die kleine, vage, klare Geräusche in die Luft zu filtern schienen, einen winzigen Hauch nach dem anderen, auf bebende Weise lebendig. Ihr Leben war voller Einzelheiten, aber zur selben Zeit lebte sie nur eine einzige Linie, gezogen ohne Kraft und ohne Ende, flach und schreckstarr wie die Spur eines anderen Lebens; und ihr blieb allenfalls, ihren Ahnungen vorsichtig zu folgen. Ob wohl alle Welt weiß, was ich weiß?, fragte sie sich in der sturen, unbedarften Art, die ihre ganze Familie kennzeichnete, den Kopf gesenkt. Sie verharrte einen Moment lang am Rand des Feldes und stand reglos da, erwartungsvoll, nach den eigenen Möglichkeiten tastend. Eine lange Minute entwickelte sich, von derselben Farbe und auf derselben Ebene wie ein Punkt, der in gerader, träger Linie aus sich herausführt. Solange diese Minute andauerte, wurde alles, was außerhalb ihrer selbst geschah, allein durch ihre Augen gesehen, als makellose, neugierige Feststellung. Doch von einem Moment auf den nächsten, ohne jede Vorankündigung, überlief sie ein leichter Schauer, während sie mit einem einzigen Mal aufnahm, welche Bewegungen in den Dingen steckten, die sie umgaben. Unverzüglich übertrug sie ihre eigenen Bewegungen nach außen, vermischt mit der Aufladung, die sie empfangen hatte; kurze Zeit später gab es auf dem Feld ein weiteres Element, das sie schuf, indem sie mit einem stummen kleinen Lächeln ihre eigene Kraft ausstrahlte. Sie ging weiter und drang frei durch die nasse Wiese, die dünnen Beine wurden feucht. Alles drehte sich schwerelos um sich selbst, der Wind über die Blätter im Hof. Hin und wieder, wie ein kleiner, fast unhörbarer Schrei und darauf Stille, die ihn widerruft, bekam sie das Gefühl, leben zu können, und verlor es sogleich wieder für immer in benommener Überraschung: Was war da los? Auch wenn das Gefühl so viel wert war wie ein Parfüm, während man rennt, fast schon eine Lüge, so war es doch genau das gewesen: leben können … Sie sagte zu Daniel:
    »Was gut ist und was uns Angst macht, das ist … also, ich kann zum Beispiel meine Sachen machen … dass ich von jetzt ab was habe, das es noch gar nicht gibt, weißt du?«
    Daniel blickte unnachgiebig geradeaus:
    »Na und? die Zukunft eben …«
    »Ja, aber das ist doch schrecklich, oder?«, sagte sie glühend und mit einem Lachen auf den Lippen.
    In tiefer Unwissenheit unternahm sie kleine Übungen und Feststellungen zu Dingen wie dem Gehen, dem Betrachten hoher Bäume, dem Warten auf das Ende des Tages an einem klaren Morgen, das aber nur einen Augenblick lang, der Verfolgung einer ganz normalen Ameise inmitten einer Menge anderer, dem langsam vor sich hin Schlendern, der Aufmerksamkeit für Stille, während das Ohr ein Geräusch fast auffing, dem schnellen Atmen, dem erwartungsvollen Berühren des Herzens, das niemals stehenblieb, der kraftvollen Betrachtung eines Steins, eines Vogels, des eigenen
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