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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter
Autoren: Åke Edwardson
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Feigheit. Deswegen mochte ich ihn nicht. Ich hatte geglaubt, er wäre mein Freund. Und deren Tochter auch. Aber sie hat gelogen. Sie muss gelogen haben. Sie war auch feige.« Schiöld bewegte die Füße im Wasser. Es sah aus, als wären sie an den Waden abgeschnitten. »Sie war im Gefängnis hier unten. Das wussten Sie nicht, oder? Drei Jahre unter einem anderen Namen, ha, ha.«
    Schiöld schwieg eine Weile.
    »Ich war wie ein tollwütiger Hund«, fuhr er dann fort. »Wie ein Pesthund! Verstehen Sie? Ich war ja noch nicht einmal erwachsen!« Er sprach lauter. »Ich bin nur an diese Küste gekommen, um schwimmen zu trainieren! Und die haben mein Leben zerstört.«
    Winter sah, wie sich die Muskeln an seinem Oberarm spannten. Schiöld hob einen Arm und ließ ihn wieder sinken.
    »Sie hat behauptet, dass sie mich liebt«, sagte er. »Die Frau des Hauses.«
    »Haben Sie es geglaubt?«
    »In dem Moment ja.«
    »Erik hat Sie beide gesehen, oder?«
    »Natürlich.«
    »Und Peder hat Sie auch gesehen.«
    »Natürlich«, wiederholte Schiöld. »Er hätte die Wahl gehabt. Als sie ihre Geschichte ausbrüteten. Sie wusste von ihm. Ich weiß nicht, wann sie entdeckt hat, was ihr Mann trieb. Und er wusste von ihr. Von uns.« Er spannte wieder den Arm an, oder er hob ihn nur. »Von mir.«
    »Warum haben Sie anstelle der jungen Frauen nicht die Eltern umgebracht?«, fragte Winter. »Peder und Annica.«
    »Ist das ein Vorschlag von einem Kommissar?«
    »Es ist eine Frage.«
    Schiöld schaute wieder ins Wasser.
    »So war es schmerzhafter«, sagte er. »Sie müssen mit dem Schmerz leben. Das ist schlimmer als der Tod.« Er blickte auf. »So habe ich jedenfalls gedacht.« Er griff mit beiden Händen nach der Poolkante und ließ sich langsam, das Gesicht der gekachelten Wand zugekehrt, ins Wasser gleiten. »Sie haben mich geopfert. Ich musste also auch Opfer schaffen. Etwas opfern.« Jetzt reichte ihm das Wasser bis zur Brust. »Und nun tue ich das Letzte.«
    Sein Kopf versank unter Wasser. Langsam schwamm er bis zum Grund.
    »Herr Schiöld!«
    Aber Herman Schiöld hörte nichts mehr. Er war schon unten angekommen. Das Wasser war unbegreiflich klar, unbegreiflich blau. Schiöld legte sich mit ausgestreckten Gliedern auf den Grund und sah aus wie ein nackter Fallschirmspringer. Winter konnte sein Gesicht sehen. Seine Augen lösten sich auf und blickten leer wie die eines Blinden. Winter rührte sich nicht. Schiöld lag still. Dort unten wartet der Tod, dachte Winter. Er hörte ein Geräusch neben sich, eine Sekunde bevor Erik Lentner in den Pool sprang. Mit lautlosen Schritten war er herangekommen. Lentner tauchte zum Grund. Schiöld rührte sich nicht. Er schien die Augen geschlossen zu haben. Jetzt verdeckte ihn Lentners Körper. Schiöld schien ihn weder zu sehen noch zu hören. Lentner schwamm um Schiöld herum. Er trug ein Hemd, eine lange Hose, Strümpfe und Schuhe. Er wirkte wie ein fremdes Lebewesen neben dem nackten Körper, der in der Haltung eines Gekreuzigten dalag. Lentner ergriff einen Arm, der wie am Grund festgenagelt zu sein schien. Lentner riss daran, löste ihn. Er griff nach einem Bein. Das Bein bewegte sich. Es war ein kräftiges Bein. Winter war noch immer wie erstarrt. Regungslos stand er am Rand des Pools, ohne das Wasser zu berühren. Der Kampf da unten war nicht sein Kampf. Er konnte nicht alle retten. Er hatte niemanden gerettet. Doch, einen Menschen, dieses Mal. Mehrere im Lauf der Jahre. Das da unten sah nicht aus wie ein Kampf. Schiöld bewegte sich noch immer nicht. Lentner bewegte ihn, Beine, Arme, wieder die Beine. Wie Schwimmbewegungen.
    Lentner ließ los und schwamm an die Oberfläche. Winter sah, wie sich das Gesicht näherte und die Wasseroberfläche durchbrach.
    Lentner atmete furchtbar schnell und heftig. Seine Augen waren rot.
    Er griff nach der Poolkante. Er griff nach Winters Hand. Aber Winter sah ihn nicht. Er sah, wie sich die Gestalt am Grund bewegte, oder von etwas bewegt wurde, als würde sie von einer Kraft angehoben, wie von einem Wind unter Wasser. Langsam glitt sie an die Oberfläche. Winter ergriff Lentners Hand. Jetzt war die Gestalt nah. Schiöld hielt die Augen nicht mehr geschlossen, sie waren immer noch blau. Winter ergriff auch seine Hand, als sie sich ausstreckte, wie in einer Reflexbewegung, eine Rettung, Lebensrettung. Winter versuchte ihn hochzuziehen, aber die Gegenkraft zog ihn nach unten. Sie hielten einander an den Händen, vier Hände, zwei davon seine, und Winter konnte
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