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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Himmel bedeckte sich, der Wind drehte auf West. Regen peitschte über die geriffelte schiefergraue See; das Schiff ächzte.
    Paul, Jerome und Steve blieben an Deck im Schutz einer wasserdichten Plane. Snowball und Goodluck kauerten zwischen ihnen, musterten mit gemischten Gefühlen die hochgehende See und vergewisserten sich immer wieder mit prüfendem Blick auf die Gesichter der Menschen, ob das Ende nicht unmittelbar bevorstünde.
    Es war sinnlos, gegen den stürmischen Westwind anzukämpfen; der Kapitän ließ schon am frühen Nachmittag dicht unter Land steuern und hielt nach einem geeigneten Landeplatz Ausschau. Wasser gischtete über das Deck, Regen platschte auf die Planken und trommelte auf die Plane, unter der sie hockten. Kommandos wurden gerufen. Matrosen in klatschnassen Burnussen und triefenden Turbanen hantierten an den Tauen, um das Segel zu bergen. Ein Boot wurde zu Wasser gelassen und am Bug festgemacht. Riemen senkten sich. Der Kapitän ließ die Barke gegen den Wind schleppen.
    »Was ist das?«, fragte Steve. Er wies auf eine merkwürdige Felsformation steuerbords, die sich zwischen zwei Regenschauern vor dem düsteren Himmel abhob.
    »Die Schulter des Herkules«, sagte Paul.
    Tatsächlich hatte der Felsen die Form einer Schulter, die steil aus dem Wasser stieß. Oberarm und Rundung waren deutlich zu erkennen, ein Halsansatz, darüber Ohr und Kinn, ein begonnener Mund in einem zerklüfteten, ungeformten Gesicht. Und die Schulter stemmte sich gegen das Bergmassiv, als müsse sie die Last des Landes gegen die See hin abstützen.
    »Sieht aus wie künstlich geschaffen«, sagte Steve erstaunt.
    »Ist es auch. Eine Reisegruppe, die noch viel weiter in die Vergangenheit geraten ist, hat versucht, Zeugnis von sich zu geben durch ein weithin sichtbares Kunstwerk.«
    »Hat man das nicht genauer untersucht?«, fragte Steve.
    »Für die Seeleute ist das ein böser Ort. Du wirst keinen dazu überreden können, hier in der Nähe anzulegen«, sagte Paul. »Sieh, wie sie rudern. Als ginge es um ihr Leben.«
    Ganz langsam zog die Barke an der Felsschulter vorüber. Von dem Monument schien eine seltsame Bedrohung auszugehen; es wirkte kraftvoll und trotzig und doch wie ein zu Stein gewordener Vorwurf. Wie muss Menschen zumute gewesen sein, die in diese Welt geworfen wurden und nichts und niemanden hier vorfanden, dachte Steve. Adam im unfertigen Paradies. Unvorstellbar, was solche Leute durchgemacht haben mussten. Umso bewundernswerter die Leistung dieses Künstlers, der neben der Mühsal seines Tagwerks die Kraft fand, mit diesem Giganten zu beginnen, über dessen Vollendung er starb.
    »Es geht unter den Seeleuten die Sage«, fuhr Paul fort, »dass es keine Menschen mehr geben wird, wenn dieser Herkules ertrunken ist in den steigenden Wassern.«
    »Das könnte noch heute der Fall sein, wenn es so weiter regnet«, meinte Jerome und wischte sich die Nässe aus Gesicht und Bart.
    Erst nach Anbruch der Dunkelheit legte die Barke an. Treibholz säumte das Ufer und wurde beiseite gedrückt. Schattenhafte Gestalten balancierten darüber hinweg. Leinen wurden geworfen, Holz knirschte gegen Holz.
    Der Regen trommelte die ganze Nacht. Am nächsten Morgen wurden die Tiere an Land gebracht und unter Bewachung auf die Weide getrieben. Rick Bailey und Jerome brachen auf zur Jagd; zwei Händlersöldner und ein ehemaliger Siedler schlossen sich an. Sie erlegten ein kleines tapirähnliches Geschöpf und einen riesigen Hirsch von gut drei Metern Schulterhöhe. Jerome schoss ein paar Wildenten und versuchte, Davy zum Apportieren abzurichten, doch der Hund war zu eigensinnig und gehorchte seinen Kommandos nicht.
    Die Barke lag vertäut. Der Kapitän ließ die Schläuche mit frischem Trinkwasser füllen und Fleisch auf Vorrat braten.
    Sie hockten im Schutz provisorischer Laubdächer und starrten ins schwelende Feuer, über dem Fleischstücke hingen und nur sehr langsam garten.
    Zwei Tage später sprang der Wind um, und der Himmel klarte auf. Tiere und Vorräte wurden an Bord gebracht, die Leinen losgeworfen.
    Da erschien aus dem Uferdickicht eine Gestalt, hellhäutig, mit bärtigem Gesicht und schulterlangem Haar. Das Wesen hatte kurze, überaus stark behaarte Beine und ungewöhnlich lange Arme, war weitaus kräftiger gebaut als ein durchschnittlicher Knirps und fast so groß wie ein ausgewachsener Mensch. Um den Leib trug es ein roh gegerbtes Ziegenfell, das an der Achsel von einer Knochenspange zusammengehalten wurde, über der
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