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Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: James Fenimore Cooper
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seine Person, aber sein erstorbenes Auge und seine leblosen Züge widersprachen zu sehr der stolzen Absicht eines so eitlen Schmuckes.
    Gerade vor dem Toten saß Chingachgook, ohne Waffen, ohne Bemalung, ja ohne Verzierung irgendeiner Art, das glänzend blaue Stammbild seines Geschlechts ausgenommen, das der nackten Brust untilgbar eingezeichnet war. Während der langen Zeit, da der Stamm hier versammelt war, schaute der mohikanische Krieger fest und kummervoll auf das kalte, leblose Antlitz seines Sohnes. So unverwandt und innig war dieser Blick, seine Haltung so unverrückt, dass ein Fremder den Lebenden von dem Toten nur an dem gelegentlichen Spiel eines aufgeregten Geistes, das sich auf dem düsteren Antlitz des Vaters malte, und an der totenähnlichen Ruhe, die sich für immer auf den Zügen des Sohnes gelagert hatte, unterschieden haben würde.
    Der Kundschafter stand dicht daneben, in nachdenklicher Stellung auf seine totbringende Rächerwaffe gelehnt, während Tamenund, von den Ältesten seiner Nation unterstützt, einen erhöhten Platz einnahm, von wo er die stumme, von Gram bewegte Versammlung überblicken konnte.
    In dem inneren Rande des Kreises stand ein Offizier, in der Uniform einer fremden Nation; außerhalb war sein Schlachtross, von einer Anzahl berittener Diener umgeben, die sich, wie es schien, auf eine ferne Reise bereitet hatten. Der Anzug des Fremden zeigte, dass er in der nächsten Umgebung des Statthalters von Kanada eine angesehene Stellung innehabe. Wie es schien, war seine Absicht, Frieden zu stiften, durch das wilde Ungestüm seiner Verbündeten vereitelt worden, und er musste sich nun begnügen, ein schweigsamer Zeuge der traurigen Früchte eines Streites zu sein, dem vorzubeugen er zu spät gekommen war.
    Der Tag nahte sich dem Ende seines ersten Viertels und immer noch verharrte die Menge in dem atemlosen Schweigen, welches seit dem vergangenen Abend unter ihr herrschte. Nichts hörte man als etwa einen unterdrückten Seufzer, kein Glied hatte sich die lange Zeit über gerührt, außer um die einfachen und rührenden Opferdienste zu versehen, die von Zeit zu Zeit dem Andenken der Verstorbenen gebracht wurden. Nur die Geduld und Ausdauer indianischer Seelenstärke konnte solch einen Anschein lebendigen Todes ertragen, welcher die dunklen bewegungslosen Gestalten in Stein verwandelt zu haben schien.
    Endlich reckte der Weise der Delawaren einen Arm aus, stützte sich auf die Schultern seiner Begleiter und erhob sich mit einem Ausdruck von Schwäche, als ob auf dem Manne, der gestern noch vor seinem Volke gestanden, heute, da er auf seinem erhabenen Sitze wankte, ein Menschenalter mehr lastete.
    »Männer der Lenapen!«, sprach er in hohlen Tönen, deren Klang eine Prophezeiung zu verkünden schien; »Manitus Gesicht ist hinter einer Wolke! Sein Auge ist von euch gewandt; seine Ohren sind verschlossen; seine Zunge gibt keine Antwort. Ihr seht ihn nicht, und doch sind seine Gerichte vor euren Augen. Eure Herzen seien offen und eure Geister sprechen keine Lüge! Männer der Lenapen! Manitus Antlitz ist hinter einer Wolke!«
    Als diese einfache und doch furchtbare Ankündigung in die Ohren der Zuhörer drang, erfolgte eine so tiefe und schauerliche Stille, als ob das hohe Wesen, das sie anbeteten, die Worte ohne Hilfe menschlicher Organe gesprochen hätte: Selbst der entseelte Uncas schien belebt im Vergleich mit der demütigen, unterwürfigen Menge, von der er umgeben war. Jedoch, der unmittelbare Eindruck verschwand allmählich wieder, und leise, murmelnde Stimmen begannen eine Art von Gesang zu Ehren der Toten. Es waren weibliche Laute, durchdringend, sanft und klagend. Die Worte hatten unter sich keine regelmäßige Folge: Wenn eine aufhörte, nahm eine andere den Lobgesang oder die Trauerklage, wie man es nennen mochte, wieder auf und drückte ihre Empfindungen in einer Sprache aus, wie sie ihr das Gefühl und die Verhältnisse eingaben. Dazwischen wurden die Sprecherinnen von lauten und allgemeinen Ausbrüchen des Schmerzes unterbrochen, während welcher die Mädchen um Coras Bahre die Pflanzen und Blumen auf ihrem Körper in wilder Hast zerpflückten, als wären sie vor Gram wahnsinnig. In milderen Augenblicken jedoch wurden diese Sinnbilder der Reinheit und süßer Anmut mit allen Zeichen zärtlicher Teilnahme wieder an ihre frühere Stelle gelegt. Obgleich ihre Worte durch die vielfachen, stärkeren Ausbrüche der Empfindung unzusammenhängend erschienen, so würde eine Übertragung
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