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Der letzte Engel (German Edition)

Der letzte Engel (German Edition)

Titel: Der letzte Engel (German Edition)
Autoren: Zoran Drvenkar
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Keine Reibung. Die Frau atmete ein, Mona fühlte, wie sich ihr Brustkorb dehnte, dann verspürte sie ein sanftes Stechen, als die Verbindung geschaffen wurde – haarfeine Nervenstränge bohrten sich von den Federnnabeln durch die Haut und verflochten sich mit ihren Schultermuskeln. Es war unangenehm und aufregend zugleich. Danach wickelte die Frau ein Tuch um ihre Brust und kleidete sich an. Hose, Stiefel. Es war kalt, eine Eiszeit stand bevor, die Welt kannte schon seit Jahren kein Sonnenlicht mehr. Das Schwert kam an einen Gürtel, der Dolch in den Stiefelschaft. Die Frau blieb vor ihrem Schild stehen und betrachtete sich in dem polierten Metall. Es war dasselbe Gesicht, das Mona in Jasmins Erinnerung gesehen hatte.
    Mona sah sich und Mona sah die Frau.
    Bist du Lisk oder …
    »Königin Theia?«
    Die Frau drehte sich um. Ein Soldat stand im Eingang. Er trug einen Brustpanzer und war mit einem Speer bewaffnet. Die Tätowierung bedeckte sein ganzes Gesicht und auch den kahl rasierten Kopf. Königin Theia, dachte Mona und kostete den Namen, wie sie die fremde Sprache gekostet hatte, als sie bei Jasmin in der Erinnerung gewesen war.
    »Es ist Zeit«, sagte der Soldat.
    Königin Theia nickte und folgte ihm nach draußen.
    Bestimmt hätte es Mona in dem Moment geholfen, wenn sie gewusst hätte, dass Vergangenheit ein Gewebe der Zeit ist, das sich aus Erinnerungen zusammensetzt. Jeder Faden zählt, jede Verknüpfung ist wichtig, sonst wird das Gewebe löchrig und fällt auseinander. Erinnerung lässt sich nicht ändern, sie lässt einen zurückschauen, aber sie ist unantastbar. Mona war dabei, zurückzuschauen. Sie sah durch die Augen einer Königin, die ihr Volk bewusst in den Untergang führte. Diese Erinnerung war fest in Mona eingebettet. Sie war ein zehnjähriges Mädchen im Bewusstsein einer erwachsenen Frau, die in den Krieg zog.
    Tulli Marsden riss das Mädchen hoch. Ihr Hinterkopf löste sich mit einem saugenden Geräusch aus dem Sand und das Wasser lief in glitzernden Fäden von ihr herab. Sie hustete nicht, sie atmete nicht, es war vorbei. Tulli warf sich ihre Leiche über die Schulter. Lazar würde mit ihm zufrieden sein, auch wenn es keine wirklich saubere Arbeit gewesen war. Tullis Zunge tastete über das wunde Zahnfleisch und er spuckte Blut. Unfälle gehörten dazu, so dumm sie auch waren. Und einen Zahn konnte man ersetzen. Tulli trug die Leiche ans Land und wollte sich eben auf den Rückweg zum Haus machen, als er seine Waffe auf dem Fels liegen sah. Er ließ das Mädchen in den Sand fallen, wie man ein erlegtes Tier fallen lassen würde, und hob sein Schulterholster auf.
    Der Sturz erschütterte den Körper des Mädchens, ihr Herz erwachte mit einem Krampf, die Lungen zogen sich zusammen und rebellierten gegen das Wasser. Sie würgte, kippte zur Seite und erbrach sich in den Sand, wieder und wieder.
    Aus weiter Ferne hörte sie ein Lachen.
    »Du zähes Miststück«, sagte Tulli und trat ihr in die Rippen.
    Er hörte ihr Keuchen; er wartete, dass sie ihn ansah.
    Als Mona sich aufsetzte, hielt Tulli ein Messer in der Hand. Blut war um seinen Mund verschmiert und da war eine Lücke in seinem Grinsen. Mona kam schwankend auf die Beine, ihre Knie zitterten und das Atmen fiel ihr schwer. Sie hatte Tränen in den Augen und wischte sie mit dem Handrücken weg. Tulli zeigte mit der Messerspitze aufs Meer.
    »Willst du es noch einmal versuchen?«
    Mona schüttelte den Kopf. Etwas war anders, und Tulli konnte es sehen, aber er verstand es nicht. Das Mädchen rannte nicht mehr weg, sie wartete, dass Tulli zu ihr kam. Er tat ihr den Gefallen, selbstsicher und ohne Schutz trat er vor. Sein Arm beschrieb einen Bogen, die Klinge sirrte durch die Luft, Mona kam ihm entgegen und duckte sich unter dem Messer. Ihr bloßer Fuß traf Tullis Knie von der Seite, sodass es mit einem Ploppen aus dem Gelenk sprang. Tullis Mund klappte auf, der Schmerz war so intensiv, dass ihm der Atem wegblieb und er keinen Laut von sich geben konnte. Als Tulli einknickte, ergriff Mona mit beiden Händen seine Messerhand und kehrte sie um. Die Klinge verschwand in Tullis Magen und blieb dort stecken.
    Seit dem Angriff waren keine drei Sekunden vergangen.
    Mona wich zurück, damit sich Tullis Gewicht nicht über sie legte. Der Söldner fiel vor ihr in den Sand, kippte zur Seite und atmete seufzend aus.

MOTTE
    I ch stand vor dem Monitor und hielt mein Handy, als wäre es ein Rettungsseil. Vor einer Minute hatte ich entdeckt, dass mein Herz
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