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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten
Autoren: Katherine Pancol
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wiedererkannt. Er leugnete weiter, behauptete, er sei nur Zeuge gewesen und habe seinen Freund in dessen mörderischem Wahn nicht aufhalten können. Am Abend des Verbrechens war er dem Polizisten entwischt, der ihn überwachen sollte, und war zu Fuß zu einem Mietwagen gegangen, den er fünfhundert Meter entfernt abgestellt hatte. Wenn das nicht geplant ist!, hatte sich Joséphine empört. Darüber hinaus hatte er sein eigenes Auto deutlich sichtbar vor seinem Haus stehen lassen. Der Polizist hatte keinen Verdacht geschöpft. Die Verhandlung würde in zwei bis drei Jahren stattfinden. Dann würden sie diesen ganzen Albtraum noch einmal durchleben müssen …
    Es war Herbst, und die Blätter begannen sich rötlich zu verfärben. Ein Jahr schon! Seit einem Jahr laufe ich nun schon um diesen See. Vor einem Jahr habe ich Iris in der Klinik besucht. Sie wusste nicht, was sie redete, beschuldigte mich, ihr Buch gestohlen zu haben, ihren Mann, ihren Sohn. Joséphine schüttelte den Kopf, um diesen Gedanken zu vertreiben. Vor einem Jahr glaubte ich, Antoine in der Métro gesehen zu haben, doch es war nur ein Doppelgänger. Vor einem Jahr lief ich zitternd an der Seite des gleichgültigen Luca um den See. Es begann zu regnen, und sie beschleunigte ihre Schritte.
    »Komm, Du Guesclin! Wir spielen ›Zwischen den Tropfen hindurchlaufen‹ …«
    Sie zog den Kopf ein und senkte den Blick auf ihre Füße, um nicht auf einem Stück Holz auszurutschen, daher bemerkte sie nicht, dass Du Guesclin ihr nicht mehr folgte. Sie rannte weiter, zwang ihren Körper, zwang ihre Arme, zwang ihre Beine, gegen die Wellen anzukämpfen, zwang ihr Herz, zu trainieren, immer stärker zu werden.
    Marcel schickte ihr jede Woche Blumen mit einer kurzen Nachricht: »Halt durch, Jo, wir sind für dich da, wir lieben dich …« Marcel, Josiane, Junior, eine neue Familie, die einem kein Messer ins Herz rammt?
    Als sie stehen blieb, sah sie sich nach Du Guesclin um und entdeckte ihn weit hinter sich, auf dem Boden sitzend, die Schnauze zum Horizont gewandt.
    »Du Guesclin! Du Guesclin! Komm her! Was machst du denn da?«
    Sie klatschte in die Hände, pfiff den River-Kwai-Marsch, seine Lieblingsmelodie, stampfte mit dem Fuß auf und rief bei jedem Auftreffen ihrer Ferse auf dem Boden »Du Guesclin, Du Guesclin«. Doch er rührte sich nicht. Sie machte kehrt, kniete neben ihm nieder und sprach ihm ins Ohr.
    »Bist du krank? Hast du schlechte Laune?«
    Er blickte in die Ferne, und seine Nasenlöcher erschauerten in jenem leichten Beben, das bedeutete: Mir gefällt nicht, was ich sehe, mir gefällt nicht, was sich da am Horizont abzeichnet. Sie war seine Stimmungsschwankungen gewöhnt. Er war ein überaus empfindsamer Hund. Also versuchte sie, ihn zur Vernunft zu bringen, zog an seinem Rücken, schubste ihn. Doch er blieb stur. Da stand sie auf, suchte mit dem Blick das Seeufer ab, so weit sie schauen konnte, und entdeckte … den Mann mit den Schals, der in militärischem Schritt auf sie zukam. Wie lange hatte sie ihn schon nicht mehr gesehen?
    Du Guesclin knurrte. Seine Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen, und Joséphine flüsterte: »Magst du den nicht?« Sein Knurren wurde lauter.
    Sie kam nicht mehr dazu, diese Antwort zu interpretieren, da stand der Mann auch schon vor ihnen. Diesmal hatte er keine Schals um den Hals gewickelt, und sie konnte sein pausbackiges, eigentlich recht freundliches Gesicht sehen. Er musste zu viel Selbstbräuner aufgetragen haben, denn er hatte orangefarbene Streifen am Hals. Schlecht verrieben, dachte Joséphine bei sich. Es war mittlerweile November, und eine solche Koketterie erschien ihr vollkommen überflüssig.
    »Ist das Ihr Hund?«, fragte er und deutete auf Du Guesclin.
    »Das ist mein Hund, und er ist sehr schön.«
    Der Mann lächelte belustigt.
    »Das wäre nicht unbedingt das Wort, das ich wählen würde, um Tarzan zu beschreiben.«
    Tarzan? Welch lächerlicher Name für einen Hund mit so edlem Charakter! Tarzan, der Typ in Unterhosen, der Bananen isst und sich brüllend von Ast zu Ast schwingt? Dieser Prototyp des edlen Wilden in der Version von Hollywood und der Tugendligen?
    »Er heißt nicht Tarzan, sondern Du Guesclin.«
    »Nein. Ich kenne ihn, und er heißt Tarzan.«
    »Komm, Du Guesclin, wir gehen«, befahl Joséphine.
    Du Guesclin rührte sich nicht.
    »Das ist mein Hund, Madame …«
    »Das ist er nicht. Dieser Hund gehört mir.«
    »Er ist vor ungefähr sechs Monaten weggelaufen …«
    Joséphines
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