Der Kuss des Jägers
des
Dämons so kalt und finster und erdrückend auf ihn herab, als befände er sich am
Grund der Tiefsee. Ihre Augen verdrehten sich, die Pupillen verschwanden und
ließen nur Weiß zurück. Der Arm mit dem Messer schnellte vor, führte die
aufglänzende Klinge in einem Bogen, während Schüsse wie Donnerknall durch den
Raum peitschten. Blut spritzte in hellroten Tropfen auf. Lilyth!
Der riesige Adler kreischte beim Anblick des Kreuzes auf,
dass Sophie glaubte, für immer taub zu werden. Sie verzerrte das Gesicht, als
könne sie dadurch die Ohren verschließen, unterdrückte den Impuls, sie sich
zuzuhalten, weil dann das Kreuz nicht mehr zwischen ihr und dem Dämon gestanden
hätte. »Hau ab!«, schrie sie zurück und versuchte, endlich wieder auf die Beine
zu kommen. Der Schlüssel! Der Adler war nun näher
daran als sie. Sie stemmte sich mit einem Ruck hoch, der das Kreuz ungewollt
auf den Dämon zuzucken ließ. Kreischend sträubte er sein schwarzes Gefieder,
das so düster war, dass es auch das letzte Licht zu schlucken schien. Sophie
sah das Blut aus ihrer Haut quellen, bevor sie den Schmerz spürte. Die Spitze
des Schnabels hatte ihren Handrücken geritzt. Ihr Herz schlug so schnell, dass
sie es vibrieren fühlte. »Du hast es mit Blut besiegelt. Es
gibt kein Zurück.«
Ich will nicht sterben! Ich hab dich schon einmal
besiegt, und das ist nur dein Diener.
Der Adler beugte die kräftigen Fänge, stieß sich ab und schlug im
gleichen Augenblick mit den Flügeln. Sophies Herz stockte. Nur
ein Diener. Der Herr ist mit mir. Sie schloss
die Augen. »Fahr zur Hölle, Dämon«, wisperte sie, als der kalte Schatten durch
sie hindurchglitt. Triumphierend riss sie die Augen wieder auf. »Du bekommst
ihn nicht!«, schrie sie und sprang zurück vor die Vitrine.
Einen Lidschlag später ragte er vor ihr auf – so groß und
einschüchternd, wie sie ihn aus dem Mausoleum in Erinnerung hatte. Sein von
grauer, ledriger Haut überzogener Körper hätte einem Stier zur Ehre gereicht,
die breiten Schultern hätten jede Tür gesprengt, selbst ohne die
drachengleichen Schwingen, deren Spitzen in Krallen endeten. Der widerliche
Gestank fauler Eier stahl sich in ihre Nase und ließ sie würgen. So entstellt
war seine Fratze, dass sie Kafziel nicht erkannt hätte, wenn sie ihm nicht
schon einmal in dieser Gestalt begegnet wäre.
»Geh mir aus dem Weg!«, grollte das löwenartige Maul. Die dunklen
Augen schienen sie zu durchbohren.
Sophie schob den zitternden Daumen von der Öffnung des Fläschchens.
In seine Züge trat ein groteskes Grinsen. »Diesmal wird es dir
nichts nützen.«
Das sagst du . Sie klammerte sich an ihren Glauben und holte aus. Ein Donnerschlag fuhr ihr
bis in die Eingeweide. Glas und Plastik barsten, Splitter sausten durch die
Luft. Mit einem Aufschrei riss sie die Hände vors Gesicht, duckte sich vor den
Geschossen, die auf sie prasselten, durch Stoff und Haut stachen. Das
Fläschchen entglitt ihr, landete auf den Fliesen und zerbrach. Ringsum lagen
die Schaukästen in Trümmern. Sie spähte durch ihre Finger nach oben. Ein Kerub
bäumte sich über ihr auf, drang auf den Dämon ein, doch Kafziel, plötzlich noch
größer und gewaltiger, stieß ihn zur Seite, dass er durch den Raum taumelte.
Der Schlüssel! Hastig rappelte sich Sophie
auf. Splitter regneten klirrend zu Boden. Blitzschnell drehte sie sich nach den
Rollsiegeln um, die in den Trümmern der Vitrine verstreut lagen. Im Dämmerlicht
suchte sie mit hektischem Blick nach dem Richtigen, als sich der Dämon auch
schon herabbeugte und ohne Zögern mit den Klauenfingern nach einem bestimmten
Siegel griff. Kerubim und Engel schrien auf. Sie warf sich vor, streckte die
Hände aus, um es vor ihm zu erreichen, aber ein überraschender Schlag von
hinten gegen ihre Beine ließ sie in die Knie gehen.
Mit einem selbstgefälligen Grinsen blickte Kafziel auf sie herab,
fegte die angreifende Geneviève mit einem Arm zur Seite. Plötzlich veränderte
sich sein Gesicht. Für einen kurzen Augenblick runzelte er die Stirn, dann war
er fort. Und der Schlüssel mit ihm.
U m sie herum war es dunkel und
still. Im ersten Moment wollte Sophie die Augen wieder schließen und sich enger
an Rafe kuscheln, auf dessen Schoß sie saß und sich mit Kopf und Schulter an
ihn lehnte, das Gesicht an seinem Hals geborgen. Doch dann stutzte sie,
richtete sich in den Armen auf, die er um sie gelegt hatte. »Was … Wie lange
habe ich geschlafen?« Alarmiert sah sie sich im dämmerigen
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