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Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Titel: Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)
Autoren: Sarah Lukas
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darbrachte, aber das hier klang anders. »Wem?«
    Caradecs Blick richtete sich auf ihn.
    »Wen interessiert das?«, schnappte Gadreel, der seinen Gegner offenbar mit einer Hand am Boden hielt.
    »Mich!«, fauchte Jean zurück und dachte dabei an Lilyth.
    »Sie opfert sich selbst für irgendeinen Schwachsinn, den er ihr eingeredet hat.«
    »Was hat er davon?«, entfuhr es Jean. Erst jetzt merkte er, dass Gadreels Finger zur Hälfte in Caradecs Brustkorb verschwunden waren. Blut schimmerte um sie herum. Sein Magen verkrampfte sich.
    »Er braucht die Kraft, die es ihm verleiht«, japste der Paktierer. »Um an den Schlüssel zum Gefängnis …« Plötzlich ging seine Stimme in einem Gurgeln unter, seine Glieder zappelten und zuckten.
    Jean sah entsetzt den gefallenen Engel an, doch der wich bereits zurück, die Finger ohne eine Spur von Blut.
    »Sie gehört mir!«, brüllte er. »Sag das deinem Herrn, wenn du ihn auf dem Weg in die Hölle triffst!«
    Caradecs Bewegungen erlahmten.
    »Warum hast du ihn umgebracht?«, fuhr Jean auf. »Er war doch gerade dabei …«
    »Das war ich nicht!«, fauchte Gadreel. »Kafziel hat den Verrat bemerkt.« Knurrend packte er erneut den Sterbenden. »Wo, verdammt?«
    »Lass ihn!« Jean war bereits wieder auf dem Weg zur Tür. Dieses Mal würde er wohl richtigen Ärger mit der Polizei bekommen, aber sie durften ihn erst erwischen, wenn Sophie in Sicherheit war. »Ich weiß, wo sie ihre Rituale abhalten.«
    Der gefallene Engel holte ihn schon ein, bevor er das Treppenhaus erreicht hatte. Eine Drohung lag in seiner Stimme. »Ist es weit?«
    »Nein.« Wäre es so gewesen, Jean hätte nicht sagen können, ob er Sophies Leben noch einmal riskiert oder den Dämon allein vorausgeschickt hätte. Jetzt, da er wusste, was mit ihr geschehen sollte, raste er die Treppe so halsbrecherisch hinunter, dass ihn schieres Glück auf den Füßen zu halten schien.
    Draußen war es düster, als habe die Dämmerung eingesetzt. Dunkle Wolken ballten sich über der Stadt und tauchten die grauen Häuser in schwefelgelbes Licht. In der Ferne heulte eine Sirene, doch in Paris hörte man sie ständig. Jean rannte die Straße entlang auf die hohe Mauer mit dem massiven Tor zu. Père Lachaise gleicht einer Festung – oder einem Gefängnis. Caradecs Worte gingen ihm nicht aus dem Sinn. Der Dämon wollte den Schlüssel für ein Gefängnis? Was hatte das mit Sophie, den Wächtern und dem Buch Henoch …  Höllenfeuer! Er will die Wächter befreien! Zweihundert mächtige Dämonen, deren Hass in Jahrtausenden der Gefangenschaft ins Unermessliche gewachsen war, losgelassen auf eine nichts ahnende Welt … 
    »Wir müssen da rein!«, rief er und deutete auf die dunkle Mauer, über der die Bäume des Friedhofs aufragten. Selbst zu zweit würde es kein Kinderspiel sein, die Mauerkrone zu erklimmen.
    Gadreel warf ihm einen geringschätzigen Blick zu. »Ich will vor dir hersenden einen Engel.«
    Der Satz stammte aus der Bibel, auch wenn Jean die Stelle gerade nicht einfiel. Der Dämon hielt direkt auf das Tor zu, und obwohl Jean ahnte, was geschehen würde, konnte er es doch nicht glauben und fiel zurück. Schaben und Klappern wie von Riegeln und Schlössern ertönte. Ein Windstoß fuhr heran und stieß die Torflügel auf. Eine Sekunde lang herrschte Stille, dann fegte erneut eine Böe über Jean hinweg, zauste sein Haar und rauschte in den Bäumen. Der Sturm war nah.
    Der gefallene Engel sah sich ungeduldig nach ihm um. Jean lief wieder schneller, rannte durch das offene Tor und verkniff sich den Blick nach Wachpersonal. Nichts würde Gadreel aufhalten, und solange er ihn brauchte, um ihm den Weg zu weisen, konnte auch ihm nichts in die Quere kommen.
    Innen glich Père Lachaise einem felsigen, dicht bewaldeten Hügel. Unter den hohen Kastanien und knorrigen Eichen lag das steinerne Durcheinander der Grabmäler in nachtgleicher Dunkelheit. Immer heftigere Böen peitschten die Zweige, beugten die Wipfel und säuselten in den Tannen ein schaurigschrilles Lied. Vertrockneter Blumenschmuck raschelte, verrostete Türen quietschten in den Eingängen kleiner Totentempel. Eine Katze huschte in die Schatten des Gewirrs aus Stufen und Skulpturen, versteckte sich zwischen umgestürzten Säulen und moosüberzogenen Sarkophagen.
    Jean ignorierte die wie schwarze Löcher klaffenden Eingänge alter Grabstätten und stob die schmalen, im Dunkeln noch tückischeren Wege entlang. An den Rändern war das Pflaster so abschüssig, dass es ihm
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