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Der kurze Sommer der Anarchie

Der kurze Sommer der Anarchie

Titel: Der kurze Sommer der Anarchie
Autoren: Unbekannter Autor
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der Anarchisten wehten über der Menge die Farben aller antifaschistischen Gruppen Spaniens. Es war ein großartiger, erhabener und bizarrer Anblick; denn niemand hatte diese Massen gelenkt, organisiert oder geordnet. Nichts klappte wie am Schnürchen. Es herrschte ein unerhörtes Durcheinander. Der Beginn des Leichenzuges war auf zehn Uhr festgesetzt. Eine Stunde zuvor war es bereits unmöglich, an das Haus des Anarchistischen Regional-Komitees heranzukommen. Niemand hatte daran gedacht, den Weg, den der Zug nehmen sollte, abzusperren. Die Belegschaften aller Betriebe von Barcelona zogen herbei, gerieten durcheinander und versperrten sich gegenseitig den Weg von allen Seiten. Eine KavallerieSchwadron und eine Motorradeskorte, die den Leichenzug anführen sollten, fanden sich völlig blockiert und von Arbeitermassen eingekeilt. Überall sah man mit Kränzen bedeckte Wagen, die steckengeblieben waren und weder vorwärts noch zurück konnten. Mit Mühe und Not gelang es, den Ministern einen Weg zur Bahre zu bahnen.
Um halb elf Uhr verließ Durrutis Sarg, bedeckt von einer schwarz-roten Fahne, auf den Schultern von Milizsoldaten seiner Kolonne, das Haus der Anarchisten. Die Massen erhoben die Faust zum letzten Gruß. Sie stimmten die anarchistische Hymne an: Hijos del pueblo, Söhne des Volkes. Es war ein Augenblick großer Bewegung. Doch aus irgendeinem Grunde oder auch aus Versehen hatte man zwei Orchester kommen lassen. Das eine spielte sehr leise, das andere sehr laut. Es gelang ihnen nicht, den gleichen Takt zu halten. Die Motorräder heulten auf, die Autos begannen zu hupen, die Offiziere der Milizen gaben Pfeifsignale, und die Sargträger kamen keinen Schritt voran. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, in diesem Tumult einen Zug zu formieren. Die beiden Orchester spielten dasselbe Lied noch einmal, noch mehrere Male. Sie hatten alle Versuche, sich aufeinander abzustimmen, aufgegeben. Man hörte die Töne, aber es war keine Melodie mehr zu erkennen. Immer noch sah man auf allen Seiten erhobene Fäuste. Endlich verstummte die Musik, die Fäuste sanken, und nur noch das Brausen der Menge, in deren Mitte Durruti auf den Schultern seiner Genossen ruhte, war zu hören.
Es verging wenigstens eine halbe Stunde, bis die Straße so weit frei war, daß der Zug sich in Bewegung setzen konnte. Es dauerte mehrere Stunden, bis er die Plaza de Cataluna erreichte, die nur ein paar hundert Meter entfernt liegt. Die Berittenen suchten sich ihren Weg, jeder auf eigene Faust. Die Musiker, in der Menge versprengt, versuchten, sich wieder zu vereinigen. Die Autos, die sich verfahren hatten, trachteten im Rückwärtsgang einen Ausweg zu finden. Die Wagen mit den Kränzen bahnten sich Umwege durch die Seitenstraßen, um an irgendeiner Stelle im Trauerzug unterzukommen. Jedermann schrie, so laut er konnte.
Nein, das war nicht die Beisetzung eines Königs, es war ein Begräbnis, das das Volk in die Hand genommen hatte.
Es gab keine Anordnungen, alles geschah spontan. Das nicht Vorhersehbare beherrschte den Tag. Es war einfach ein anarchistisches Begräbnis, und darin lag seine Majestät. Es hatte seine sonderbaren Seiten, aber seine Größe, eine eigenartige, düstere Größe, verlor es nie.
Zu Füßen der Columbus-Säule, nicht weit entfernt von der Stelle, wo einst Durrutis bester Freund gekämpft hatte und an seiner Seite gefallen war, wurden die Trauerreden gehalten. Garda Oliver, der einzig Überlebende der drei Genossen, sprach als Freund, als Anarchist und als Justizminister der Spanischen Republik.
Dann nahm der russische Konsul das Wort. Er beschloß seine Rede, die er in katalanischer Sprache hielt, mit dem Ruf: »Tod dem Faschismus!« Der Präsident der Generalidad, Companys, sprach als letzter. »Genossen!« begann er, und endete mit der Losung: »Voran!«
Es war vorgesehen, daß der Trauerzug sich nach den Reden auflösen sollte. Nur einige Freunde Durrutis sollten dem Leichenwagen bis auf den Friedhof folgen. Aber es erwies sich als unmöglich, an diesem Programm festzuhalten. Die Massen wichen nicht von der Stelle, sie hatten bereits den ganzen Friedhof besetzt und den Weg zum Grab blockiert. Es war schwierig durchzukommen; denn zu allem Überfluß waren alle Alleen des Friedhofs durch Tausende von Kränzen unbegehbar geworden.
Die Nacht brach herein. Es fing von neuem an zu regnen. Bald goß es in Strömen, und der Friedhof verwandelte sich in einen Morast, in dem die Kränze ertranken. In letzter Minute wurde beschlossen,
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