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Der Kunstreiter

Titel: Der Kunstreiter
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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Bajazzos flog plötzlich ein kleines weißes Pony in gestrecktem Galopp über die niedere Eingangsbarriere und mitten in den Zirkus hinein. Auf seinem Rücken aber saß ein kleines, vielleicht siebenjähriges, als Elfe gar phantastisch gekleidetes Mädchen. Stallknechte, Bajazzo und Stallmeister stoben blitzschnell auseinander, und während das Pony den Zirkus durchflog, war die jugendliche Reiterin in die Höhe gesprungen und grüßte, auf dem breiten Sattel stehend, freundlich lächelnd nach allen Seiten hinüber. Sie trug fleischfarbene Trikots, ein kurzes, leichtes rosa Röckchen von durchsichtigem Stoff, das Kleidchen dabei tief ausgeschnitten, und an den halbnackten Schultern ein Paar buntfarbige Flügel, handhabte auch ihr zierliches Roß vortrefflich und zeigte eine für ihre Jahre außerordentliche Übung.
    Die Frauen waren ganz entzückt von dem kleinen Wesen, das in jeder seiner Bewegungen – nur nicht im Körper selber – vollkommen erwachsen schien. Zum äußersten kokett und überlegen grüßte undwinkte sie bald da, bald dorthin, trieb ihr Pferd mit der kleinen Peitsche an, und hielt plötzlich, um sich von dem rasch herbeispringenden Stallmeister noch einmal die Sohlen mit Kreide streichen zu lassen. Dabei lächelte sie auch dem Bajazzo zu, der um sie her die tollsten Kapriolen machte, sprang dann durch Reifen und über Girlanden, und trieb alle die übrigen Kunststücke, die Kinder in dem Alter gewöhnlich bei solchen Gesellschaften treiben. Das Publikum applaudierte zwar lebhaft, aber es bleibt doch immer ein eigenes, eben nicht angenehmes, oft sogar unbehagliches Gefühl, ein Kind zu solchen Künsten abgerichtet zu sehen. – Was für Erfahrungen hat das Kinderherz nicht schon gesammelt, das dort mit der affektierten Handbewegung und halben Kußhänden den Applaus des Publikums erwidert! Wie lange schon mußte es seinen schönsten Schmuck, die Kindlichkeit, abgeschüttelt haben, jede Bewegung einer erwachsenen Kokette täuschend nachzuahmen! Ihr applaudiert und jubelt der Kleinen zu. Fragt euch einmal, wie euch zumute sein würde, wenn das euer Kind wäre, und dann bedauert das unglückliche Wesen, das sein böses Geschick in solche Bahn, in solch ein glänzendes Elend geworfen. Und fühlt es sich selber glücklich in solchem Leben? – Es nickt und lächelt da oben mit freudestrahlendem Gesicht und sprengt lustig – hinter die Kulissen. – Was es dort treibt, kümmert das Publikum nicht.
    »Mademoiselle Josefine,« wie die Kleine auf dem Zettel genannt wurde, hatte mit diesem Ritt die Vorstellung eröffnet, und ihr folgte auf einem schwarzbraunen Pony Monsieur Charles, »der kleine Herkules.« Monsieur Charles, ebenfalls in fleischfarbenen Trikots, mit einem kurzen Löwenfell bekleidet und mit einer Keule in der Hand, war ein Knabe von etwa vierzehn Jahren, aber für sein Alter von außergewöhnlicher Kraft und Gewandtheit – ein wahres Talent in seinem Fache. Die schwierigsten Kunststücke führte er auf dem Rücken des dahinsausenden Pferdes aus, und mit kaltem, ja tollkühnem Mute schien er die Gefahr weit eher zu suchen, als zu vermeiden. Monsieur Charles wurde hervorgerufen, wie er die Arena kaum unter stürmischem Applaus verlassen hatte, und zwei Athleten nahmen jetzt seine Stelle ein, die mit halsbrechender Geschicklichkeit, der eine eine Stange balancierte, während der andere daran hinaufkletterte und oben die gefährlichsten und kühnsten Stellungen ausführte.
    Und wie hing das kecke Menschenkind da oben! Das Nachlassen einer Muskel, ein Krampf in den zum Zerspringen angespannten Sehnen der Hand, ein Straucheln des Stangenträgers, und er warrettungslos verloren. – Und das Publikum saß dabei, hielt den Atem in peinlicher Spannung an, dankte Gott, als der Frevler mit seinen Gliedern den Boden wieder berührte, und – applaudierte doch wie rasend, ihn dadurch nur zu neuen, noch tollkühneren Versuchen anfeuernd. Komtesse Melanie hatte sich schaudernd abgewandt, denn sie befürchtete, den Menschen im nächsten Augenblick zerschmettert vor ihren Füßen zu sehen. Graf Geyerstein, der an ihrer Seite saß, flüsterte: »Sie haben recht Komtesse; ein Nervenkitzel erscheint vielen erwünscht, die Monotonie ihres alltäglichen Lebens zu unterbrechen. Diese Kunststücke werden aber zur Nervenqual – und doch, sehen Sie die freudig staunenden Gesichter ihrer Umgebung, die keine Ahnung von dem zu haben scheinen, was schon im nächsten Moment ihren Genuß unterbrechen könnte.«
    »Es
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