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Der Komet

Der Komet

Titel: Der Komet
Autoren: Hannes Stein
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internieren; es bestand nicht die geringste Gefahr, dass er an Hitlerdeutschland ausgeliefert würde. Er sah sich nicht – wie Walter Benjamin in Portbou – von Häschern an eine Grenze verfolgt, hinter der es kein Entkommen mehr gab. Außerdem war 1942 schon deutlich zu erkennen (wenigstens auf lange Sicht), dass die Nazis den Krieg verlieren würden. Trotzdem schluckten Stefan Zweig und seine Frau Gift. Warum? Wahrscheinlich, weil sie beide begriffen, dass Hitler ihn besiegt hatte.
    Gewiss, das Dritte Reich würde in Scherben fallen – aber von seiner Welt, der »Welt von gestern«, in der alles Radikale und Gewaltsame unmöglich schien, würde ebenfalls nichts mehr übrig bleiben. Ein neues und unbarmherziges Zeitalter war angebrochen, und Stefan Zweig sah nicht, wie er da hineinpassen sollte. Er war davongekommen, aber wozu?
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    Wahrscheinlich hatte er die Schriften von Alexander Herzen gelesen. Alexander Herzen (1812 bis 1870) wird oft als Urvater des russischen Sozialismus bezeichnet, aber er war ein merkwürdiger und ziemlich eigensinniger Sozialist. Herzen glaubte, dass die Geschichte keinem Plan folge; dass es keine allgemeingültige Formel gebe, durch die sich alle Übel der Welt auf einmal heilen ließen; dass jedes Zeitalter sich seine eigenen Fragen stelle; dass intellektuelle Abkürzungen Erfahrungen nicht ersetzen könnten und dass Freiheit – nicht irgendein abstrakter Schatten davon, sondern die wirkliche Freiheit von Individuen – ein absoluter Wert sei. Seit 1852 lebte Herzen in London (wie so viele verhinderte oder wirkliche Revolutionäre): Der viktorianische Liberalismus war die Luft, die er atmete, und in dieser Luft brachte er seine Romane, Zeitungsartikel und Essays hervor. Seine Autobiografie gehört zum Besten, was die russische Prosa des 19. Jahrhunderts zu bieten hat. Alexander Herzen wies den Weg, den Russland dann nicht gegangen ist.
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    … im Hotel » Goldener Hirsch « , in dem sie sich für dieses Wochenende verabredet hatten. Nicht im »Goldenen Hirsch«, aber im »Österreichischen Hof« in Salzburg (heute: »Hotel Sacher«) verübte 1978 der Schriftsteller Jean Améry Selbstmord. Eigentlich hieß er Hans Chaim Mayer; sein Vater war Jude, seine Mutter hatte teilweise jüdische Vorfahren, war aber katholisch; er selbst wurde als Katholik erzogen. 1938 emigrierte er (im Alter von 26 Jahren) aus Österreich nach Belgien, 1940 wurde er im berüchtigten Lager Gurs in Südfrankreich interniert. 1941 gelang ihm die Flucht: er beteiligte sich in Belgien am Widerstand gegen die Deutschen, wurde 1943 beim Verteilen von Flugblättern geschnappt, verhaftet, schwer gefoltert und nach Auschwitz deportiert, von dort in Todesmärschen nach Buchenwald und Bergen-Belsen verschleppt. »Alle ›arischen‹ Häftlinge«, schrieb er im Rückblick, »befanden sich im Abgrund noch auf einer nur nach Lichtjahren zu messenden Höhe über uns, den Juden. Sie prügelten uns, wenn es ihnen gefiel – besonders die Polen taten sich hierin auf unvergessliche, unverschweigbare Weise hervor … Sie waren vielleicht bestimmt, Sklaven des Herrenvolkes zu sein; wir waren dem Tode zugesprochen.«
    Was war der Grund, dass er dieses Todesurteil verspätet an sich selbst vollstreckte? Améry gehörte zu den Linken; ihn verstörte und erzürnte der unterschwellige Judenhass seiner Genossen, der seit 1967 mit moralischem Zeigefinger als Antizionismus daherkam. War es das? Oder war es einfach so, dass die Erinnerungen ihn nicht weiterleben ließen? Plagten ihn Schuldgefühle, weil er überlebt hatte? Quälte ihn das Wissen, dass die Mörder munter und ungestraft (und ohne Schuldgefühle) ihren Lebensabend genossen? So viele, die das Lager überstanden hatten – Paul Celan, Tadeusz Borowski, Piotr Rawicz, Primo Levi –, starben später von eigener Hand. Jean Améry hat den Selbstmord, er selbst sprach freilich lieber von »Freitod«, einmal als »Privileg des Humanen« bezeichnet. Das ist er ganz gewiss; ein Skandal bleibt er trotzdem. Auf seinem Grab, einem verwitterten Feldstein auf dem Wiener Zentralfriedhof, stehen sein Name, ferner Geburts- und Sterbejahr sowie: »Auschwitz Nr. 172364«.
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    Lew Bronstein. Ein berühmter Witz: »Wer glauben Sie denn, dass die russische Revolution machen wird – vielleicht der Herr Trotzki aus dem Café Central?« Lew Davidowitsch Bronstein (geboren 1879, ermordet 1940), der sich nach einem seiner zaristischen Gefängniswärter
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