Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Koloss - Gedichte

Der Koloss - Gedichte

Titel: Der Koloss - Gedichte
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
Gleichgültigkeit, den wortlosen Spind.
    Die Mutter der Mörser zerkleinerte mich.
    Ich wurde ein stiller Kiesel.
    Die Steine des Bauchs waren friedlich,
    Der Kopfstein ruhig, durch nichts gestört.
    Nur das Mundloch pfiff schrill,
    Aufdringliche Grille
    In einem Steinbruch von Schweigen.
    Das hörten die Leute der Stadt.
    Sie jagten die Steine, einzeln und wortkarg,
    Das Mundloch schrie ihre Plätze aus.
    Wie ein Foetus trunken
    Sauge ich am Brei des Dunkels.
    Die Nahrungsröhren umschlingen mich. Schwämme küssen meine Flechten weg.
    Der Juwelenmeister muss seinen Meißel einrammen,
    Um ein Steinauge aufzustemmen.
    Dies ist die Nachhölle: ich erblicke das Licht.
    Der Wind entriegelt die Kammer
    Des Ohrs, alter Ärgermacher.
    Wasser beruhigt die Kieslippe,
    Und Tageslicht legt seine Eintönigkeit auf die Wand.
    Die Transplanteure sind gut gelaunt,
    Erhitzen die Zangen, heben die zierlichen Hämmer.
    Ein Strom rührt die Drähte auf, Volt
    Auf Volt. Katgut [ 11 ] heftet mir jeden Spalt.
    Ein Arbeiter geht mit einem rosa Torso vorüber.
    Die Lagerräume sind mit Herzen voll.
    Dies ist die Stadt der Ersatzteile.
    Meine umwickelten Beine und Arme riechen süß wie Gummi.
    Hier können sie Köpfe richten und alle Glieder.
    Am Freitag kommen die kleinen Kinder,
    Um ihre Haken gegen Hände zu tauschen.
    Tote Männer lassen anderen ihre Augen.
    Liebe ist die Uniform meiner kahlen Pflegerin.
    Liebe ist Knochen und Sehne meines Fluchs.
    Wiederhergestellt, beherbergt die Vase
    Die flüchtige Rose.
    Zehn Finger formen eine Schale für Schatten.
    Meine Nähte jucken. Es gibt nichts zu tun.
    Ich werde so gut wie neu sein.
    ----
    [ 11 ]  Das engl. catgut wurde als medizinisches Fachwort nicht eingedeutscht, d. h. nicht als Katzendarm bezeichnet, aus dem das tierische Nahtmaterial ohnehin nicht bestand. Man verwendete Schafdarm und Rinderkollagen, die inzwischen ersetzt wurden durch synthetische Materialien. Anm. d. Ü.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher