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Der König von Berlin (German Edition)

Der König von Berlin (German Edition)

Titel: Der König von Berlin (German Edition)
Autoren: Horst Evers
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ging einen Schritt zum Fenster, um seinen Bauch in die Sonne zu drehen. «Wir haben noch etwas gefunden. Etwas, was in so einer Berliner Mietwohnung nun wirklich mehr als ungewöhnlich ist.»
    «Nämlich?»
    «Geld.»
    «Geld?»
    «Obwohl, das trifft es nicht mal genau.» Kolbe genoss es sichtlich, das ganze Ausmaß der Ungeheuerlichkeit zu umreißen. «Man muss sagen: viel Geld. Und zwar in bar. Jede Menge. Überall, in jeder Ecke. In Umschlägen, Tütchen, Dosen, manchmal auch lose. In der ganzen Wohnung ist Geld versteckt.» Plötzlich wirkte Kolbe wie jemand, der nach einem traumatischen Erlebnis dringend die polizeiliche psychologische Betreuung in Anspruch nehmen sollte. «Also, ich hab ja schon viel in Kreuzberger Wohnungen gesehen. Schlimme Sachen auch. Aber so was, darauf ist man echt nicht gefasst.»
    Lanner blickte ihn mitfühlend an. «Wie viel ist es denn?»
    Kolbe drehte sich um und brüllte: «Liebig! Wie ist der aktuelle Stand?»
    «Also bis jetzt gute hundertsechzigtausend, alles in gebrauchten, mittelgroßen Scheinen. Tendenz steigend.»

C laire Matthes schnitt den Nusskuchen in sechs streichholzschachtelgroße Teile. Dann machte sie es mit dem Bienenstich und dem Apfelkuchen genauso. «Schauen Sie, Julia, wenn Sie jetzt die Stückchen schön auf einem Teller drapieren, dann werden Sie merken, wie zufrieden die Jungs sind.»
    Julia Jäger, die junge Sekretärin, sah aufmerksam zu, und doch war ein leichter Widerwille zu spüren. «Ich weiß nicht. Als ich mich als Chefsekretärin beworben habe, hatte ich mir ein etwas anderes Aufgabenfeld vorgestellt als das Arrangieren von Kuchentellern.»
    «Ach was, ich hab den beiden Jungs schon die Windeln gewechselt, kenne sie seit vierzig Jahren. Glauben Sie mir, was den Kuchen angeht, sind die wie ihr Vater.» Die kleine, mittlerweile vierundsechzig Jahre alte erste Chefsekretärin zog ihr apartes grünes Wollseidekostüm gerade und streckte den schlanken Körper. «Junge Frauen, die mehrere Sprachen sprechen, irrsinnig schnell mit dem Computer sind und verboten gut aussehen, finden Sie jede Woche, die lassen sich ohne weiteres austauschen. Aber eine Sekretärin, die weiß, wie er seinen Kuchen am liebsten isst, wird ein Chef irgendwann mehr lieben als jeden anderen Menschen auf der Welt. Also auf eine besondere Weise lieben. Nicht körperlich natürlich. Wenn eine Liebe körperlich wird, geht in der Regel der Respekt verloren. Insbesondere zwischen Chef und Sekretärin.»
    Julia strich sich über ihre glatten, braunen, schulterlangen Haare. Bei diesen Worten huschte vor ihrem inneren Auge eine Zukunft vorbei, vor der sie sich stets gefürchtet hatte. Sie schwieg, um Claire Matthes nicht zu verletzen. Auch war sie froh, diese Stelle bekommen zu haben. Trotz ihrer fast dreißig Jahre hatte sie recht wenig Berufserfahrung, und außerdem war sie Mutter einer vierjährigen Tochter, eine Kombination, die es ihr auf dem Arbeitsmarkt nicht leichtmachte.
    «Es ist im Prinzip ganz einfach», Frau Matthes war längst wieder mit dem Kuchen beschäftigt, «Sie müssen die Stücke nur in Form einer Schnecke legen. Von innen nach außen. Die Sorten immer abwechselnd.»
    Direkt nachdem Julia den Innensenator zu den beiden Brüdern durchgestellt hatte, half sie Claire Matthes, den Kuchen herzurichten. Der würde nach dem Telefonat helfen, hatte sie gesagt. Seit Tagen ging das jetzt schon so. Zwei-, drei-, manchmal viermal am Tag rief der Innensenator an. Oder die Gesundheitssenatorin. Oder der Schulsenator. Oder der Polizeipräsident. Oder alle gleichzeitig. Natürlich ging es jedes Mal um die Rattenplage, die die Brüder einfach nicht in den Griff bekamen. Im Gegenteil, die Fälle von Rattenbefall mehrten sich rasant, von Tag zu Tag. Gut einen Monat nach dem Tod des Alten hatte es angefangen. Seitdem schien die Rattenpopulation in der Stadt förmlich zu explodieren. Es waren nur noch fünf Tage bis zur Senatswahl, und der Opposition war es gelungen, die Ratten zum Wahlkampfthema zu machen. Der Regierende Bürgermeister war dumm genug gewesen, den Berlinern in einer leicht melodramatisch-heroischen Rede sein Wort zu geben, er werde das Rattenproblem lösen. Schließlich sei das hier Berlin, hatte er gesagt, Berlin sei ganz andere Probleme gewohnt, wegen so ein paar Ratten wäre den Berlinern nicht bange. Er war sogar gelobt worden für seine selbstbewusste, mutige Rede. Jetzt allerdings, wo so ziemlich allen Berlinern doch angst und bange wurde, wuchs die Nervosität beim
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