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Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Rebecca Gablé
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schloss schwungvoll die Tür. »Teufel noch mal, Jonah, wie machst du das nur immer? Ich war sicher, sie geht zu Webster, diesem schmierigen Halsabschneider.«
    Jonah hob die Schultern. »Sag den Leuten die Wahrheit. Wenn du ihnen klar machst, dass unser Tuch besser ist, sind sie auch bereit, mehr dafür zu bezahlen. Schmeichle ihrem Sachverstand und Geschmack, nicht immer nur ihrer Eitelkeit.«
    Crispin nickte eifrig. Manchmal hatte er den Verdacht, dass es von Jonah mehr zu lernen gab als von ihrem Meister. Er blieb vorn im Laden, während Jonah zurück hinter die Abtrennung ging. Als er Mistress Thorpe bediente, hatte er die Tür zum Hof gehört und glaubte, Annot sei hinausgegangen. Doch als er ins Lager kam, fand er, dass sie immer noch auf ihrem Schemel saß. Rupert war hinzugekommen, hatte eine Hand auf ihre Schulter gelegt und begutachtete ihr Tuch. Was zum Henker weiß er von Seide, fragte Jonah sich verwundert.
    Als Rupert seinen Schatten sah, richtete er sich auf und nickte ihm knapp zu. »Gut gemacht.«
    Jonah ging nicht darauf ein, sondern berichtete stattdessen von seinen Botengängen am Vormittag, zählte systematisch und aus dem Gedächtnis auf, wer wann welche Mengen zu welchem Preis liefern konnte. »Piers Johnson bittet Euch um einen Vorschuss von zehn Shilling«, sagte er zum Schluss. »Seine Kinder sind krank, und er muss den Medicus bezahlen. Er schwört, dass er versucht, in der ersten Adventwoche zu liefern.«
    »Einverstanden. Auf Johnson war immer Verlass.«
    »Und Adam Cross sagt, diese Beeren aus dem Morgenland, mit denen er seinen safrangelben Farbstoff herstellt, sind knapp und teurer geworden. Er verlangt einen halben Shilling mehr pro Yard.«
    Rupert schnaubte. »Dann gehst du morgen nach Southwark hinüber zu Adam Cross’ Schwager Williams und stellst fest, ob seine Preise stabil geblieben sind. Er ist ein ebenso guter Färber wie Cross.«
    »Morgen ist die erste Probe zum Weihnachtsspiel«, erinnerte Jonah ihn.
    Rupert schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Das hatte ich vergessen. Nein, du darfst unter keinen Umständen fehlen, Vater Gilbert wäre fuchsteufelswild. Dann muss Southwark eben bis übermorgen warten.«
    Annot sah mit leuchtenden Augen zu Jonah auf. » Du trittst beim Weihnachtsspiel auf?«
    Rupert lachte dröhnend und nickte. »Du wirst staunen, mein Kind. Unser Jonah ist der beste Schauspieler, den die Tuchhändlergilde zu bieten hat. Wenn er auf dem Bühnenwagen steht, erkennt man ihn einfach nicht wieder.«

London, Dezember 1330
     
    W as sagt ihr, ich hätt ein Schaf gestohlen? Eher sollt mich wohl der Teufel holen! O weh, ihr seht mich tief getroffen. Von Freunden wagt ich Bess’res doch zu hoffen. Weg von der Krippe – wie könnt ihr’s wagen? Dort liegt … ähm … mein Sohn, den mein Weib getragen. Ach je, solch Misstrau’n macht mich gramgebeugt. Dabei ward er, das glaubt mir nur, in solcher Freud gezeugt …«
    Die komische Verzweiflung, die frechen Lügen und irrwitzigen Beteuerungen des diebischen Hirten entlockten dem dicht gedrängten Publikum vor St. Paul Lachsalven und frenetischen Beifall.
    Jonah war so gefangen in seiner Rolle, dass er die Menschen auf dem Platz kaum wahrnahm. Und doch spornten sie ihn an, trieben ihn dazu, weiter über sich, aus seinem Selbst hinauszuwachsen. Er spürte weder die schneidende Kälte noch den unweihnachtlichen Nieselregen. Er war nicht in London auf einem großräumigen Bühnenwagen. Ihm war auch nicht bewusst, dass er seine Rolle schon zum siebten Mal an diesem Tage spielte. Er war Mak der Dieb, der Schelm, der mit Schläueund Witz seinen Kopf aus der Schlinge zog. Er war von sich selbst erlöst.
    Annot stand mit Crispin, Rupert, Elizabeth und der alten Dame ganz vorn in der Menge und sah mit leuchtenden Augen zu dem fantasievoll geschmückten Wagen auf. Sie klatschte, bis ihre Hände schmerzten. Niemals hätte sie geglaubt, dass es so etwas geben könnte. Seit Stunden stand sie hier in der Menge und sah die Wagen vorbeiziehen, sie spürte ihre kalten Füße schon lange nicht mehr. Jeder Wagen zeigte eine andere Szene aus der Bibel oder eine damit verwandte Geschichte, die mit der Verkündigung und der Geburt Christi zu tun hatte. Jede Handwerkszunft und Kaufmannsgilde der Stadt hatte einen der Wagen ausgerüstet und stellte die Schauspieler. Manchmal standen die Darstellungen in Zusammenhang mit dem Gewerbe der Zunft oder Gilde – so hatte Annot beispielsweise gehört, dass die Fleischer den Kindermord von
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