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Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Titel: Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie
Autoren: Mukherjee Siddhartha
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Beispiel, Flemings Entdeckung des Penizillins auf verschimmeltem Brot und die monumentalen Folgen dieses Zufallsfunds, hätte sich ebenso wenig vorhersagen lassen wie der plötzliche Niedergang der Eisernen Lunge, als dank der sich entwickelnden Techniken der Virologen die Kultur des Poliovirus und die Herstellung eines Impfstoffs möglich wurden. Jede Extrapolation der Geschichte in die Zukunft setzt eine Umgebung statischer Entdeckung voraus – ein Widerspruch in sich.«
    In einem gewissen, eingeschränkten Sinn hat Klausner recht. Wenn wahrhaft radikale Entdeckungen stattfinden, ist ihre Wirkung oft keine schrittweise verlaufende Verbesserung, sondern eine erdrutschartige Umwälzung, ein Paradigmenwechsel. Die Technologie überblendet ihre eigene Vergangenheit. Den Spekulanten, der vor der Herstellung des Polioimpfstoffs Aktienanteile eines Fabrikanten von Eisernen Lungen erwirbt, oder den Wissenschaftler, der zum Zeitpunkt der Entdeckung von Penizillin bakterielle Lungenentzündungen für unheilbar erklärt, stellt die Geschichte schnell als Narren hin.
    Aber beim Krebs, bei dem keine einfache, universale oder endgültige Heilung in Sicht ist – und wahrscheinlich nie sein wird –, führt die Vergangenheit ein dauerndes Zwiegespräch mit der Zukunft. Alte Beobachtungen verdichten sich zu neuen Theorien; die Zukunft enthält immer auch Vergangenes. Rous’ Virus wurde Jahrzehnte später in der Gestalt endogener Onkogene wiedergeboren; George Beatsons von der Geschichte eines schottischen Schäfers inspirierte Beobachtung, dass die Entfernung der Eierstöcke in bestimmten Fällen Brustkrebs verlangsamt, kehrt mit der Wucht eines Orkans als milliardenschweres Medikament namens Tamoxifen zurück; Bennetts »Vereiterung des Blutes«, der Krebs, mit dem dieses Buch begann, ist zugleich der Krebs, mit dem dieses Buch endet.
    Und es gibt noch einen subtileren Grund, diese Geschichte in Erinnerung zu behalten: Während der Inhalt der Medizin sich ständig ändert, bleibt ihre Form , vermute ich, erstaunlich gleich. Die Geschichte wiederholt sich, die Wissenschaft hallt wider. Das Instrumentarium, das wir in Zukunft gegen den Krebs einsetzen, wird sich in fünfzig Jahren zweifellos so radikal verändert haben, dass die Geografie der Krebsprävention und -therapie nicht wiederzuerkennen ist. Künftige Ärzte werden vielleicht darüber lachen, wie wir heute gegen die elementarste und gewaltigste Krankheit, die unsere Spezies kennt, primitive Giftcocktails mischen. Doch der Kampf als solcher wird weitgehend der gleiche bleiben: An der Unbarmherzigkeit, dem Erfindungsreichtum, dem Widerstand, dem schwindelerregenden Wechsel zwischen Hoffnung und Resignation, der verlockenden Illusion universaler Lösungen, der Enttäuschung über Niederlagen, der Arroganz und der Anmaßung – daran wird sich nicht viel ändern.
    Die alten Griechen benutzten ein sinnfälliges Wort zur Bezeichnung von Tumoren: onkos bedeutet »Masse« und »Last«. Das Wort war vorausschauender, als ihnen bewusst gewesen sein dürfte. Krebs ist wirklich eine Last, die unserem Genom eingepflanzt ist, das bleierne Gegengewicht unseres Strebens nach Unsterblichkeit. Aber wenn wir noch weiter zurück in die indogermanische Ursprache blicken, verändert sich die Etymologie des Wortes: onkos leitet sich von dem alten Wort enk ab, und das entsprechende Verb enenkein drückt, anders als das statische onkos , die aktive Form der Last aus, es bedeutet »aufbürden« und »belasten«, die Last von einem Ort zum anderen tragen, etwas über eine große Entfernung hinweg an einen neuen Platz bringen. Es ist ein Bild, das nicht nur der Beweglichkeit der Krebszelle, der metastase Rechnung trägt, sondern auch Atossas Reise, dem weiten Bogen der wissenschaftlichen Erkenntnis – und, darin eingebettet, dem so unauflöslich menschlichen Trieb, zu überlisten, zu überdauern, zu überleben.
    Eines späten Abends im Frühjahr 2005, als das erste Jahr meiner fachärztlichen Ausbildung zu Ende ging, saß ich in einem Krankenzimmer bei einer Sterbenden. Germaine Berne war eine temperamentvolle Psychologin aus Alabama. 1999 hatte eine nicht mehr nachlassende Übelkeit sie erfasst, so plötzlich und so heftig wie ein Keulenschlag. Noch beunruhigender war, dass die Übelkeit mit einem dauernden Völlegefühl einherging, als läge ihr eine gewaltige Mahlzeit unverdaulich im Magen. Germaine war ins Baptist Hospital in Montgomery gefahren, wo sie endlose Untersuchungen über sich hatte
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