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Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Titel: Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
Autoren: Bill Bass Jon Jefferson
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Sachverständigen unseres Bundesstaates, und im Laufe der Jahre habe ich bei seinen Weiterbildungsveranstaltungen für Rettungspersonal mindestens ein halbes Dutzend Vorträge gehalten. Erstaunlicherweise erkannte mich Dr. Smith am Aussehen meines Hinterkopfes. (Ich bin mir nicht sicher, ob das eher etwas über seinen Scharfsinn aussagt oder über die seltsame Form meines Kopfes.)
    »Dr. Bass! Dr. Bass, hören Sie mich?«, rief er. Dann blickte er zu dem Sanitäter hinüber, der immer noch nach dem Puls tastete und den Kopf schüttelte. »Dr. Bass, wir müssen Sie jetzt auf den Fußboden legen«, sagte Smith, als könne ich ihn hören.
    Sie packten den tragbaren Defibrillator aus, legten die Paddel auf meinen Brustkorb und bereiteten alles vor, um mir einen Stromschlag zu geben - ein letzter verzweifelter Versuch, mein Herz wieder in Gang zu bringen. Genau in diesem Augenblick erwachte es von selbst wieder zum Leben. Bewusstsein und Sehvermögen kehrten wieder, und ich bemerkte, dass ich auf dem Fußboden lag, umgeben von Füßen - Dutzenden von Füßen.
    »Dr. Bass, hören Sie mich?« Die Stimme wirkte auf unbestimmte Weise vertraut, ebenso wie das Gesicht des Mannes, der über mir kniete. Mir war, als sagte er »Sullivan Smith«.
    »Sullivan Smith? Ja, den kenne ich«, murmelte ich schwach. »Ich habe schon Vorträge bei ihm gehalten.<
    »Nein, Dr. Bass, hier ist Sullivan Smith«, erwiderte er. Schließlich lichtete sich der Nebel, und ich erkannte ihn. Ich war dankbar, in so guten Händen zu sein. Eine Minute länger, so erklärte er, und sie hätten mich nicht mehr zurückholen können.
    Smith sorgte dafür, dass ein Krankenwagen mich wenige Stunden später ins Universitätsklinikum nach Knoxville brachte. Während der zweistündigen Fahrt unterhielt ich mich mit den Sanitätern über alles Mögliche, von forensischen Fällen bis zur Footballmannschaft der Universität. Nur über eines sprachen wir nicht: darüber, wie knapp ich am Tod vorbeigeschrammt war.
    Der Kardiologe John Acker erklärte mir, der Herzmuskel selbst sei gesund. Das Problem lag in dem elektrischen System, das seinen Schlag steuert. Dafür gab es glücklicherweise eine einfache Lösung: einen Herzschrittmacher, ein Mini-Überwachungsgerät und ein kleiner Defibrillator, alles zusammen in einem Gehäuse, das nicht viel größer war als eine große Münze. Solange mein Herz von selbst normal arbeitete, würde der Schrittmacher untätig bleiben; sobald der Puls aber unter 50 Schläge in der Minute absank, würde er sich einschalten.
    In einer Klinik der University of Tennessee als Patient zu liegen war ein seltsames Gefühl. Seit ich 1971 nach Knoxville gekommen war, hatte ich Tausende von Stunden in dem Gebäude zugebracht: Der Komplex beherbergt die Leichenhalle des Kreises Knox sowie das forensische Zentrum, und dort hatte ich Hunderte von Leichen und Skeletten untersucht. Nachdem ich nun selbst mit einem Fuß im Grab stand, wurde mir nur allzu bewusst, wie nahe die Obduktionsräume im Keller waren. Ein paar Tage später wurde mir der Schrittmacher eingesetzt.
     
     
    Früher einmal war ich überzeugt, es gebe ein Leben nach dem Tod. Daran glaubte ich volle 60 Jahre lang, nachdem mein Vater sich erschossen hatte. Aber dann starb Ann, später starb Annette, und plötzlich schien nichts mehr von dem Glauben an Gott und Himmel, mit dem ich aufgewachsen war, noch einen Sinn zu haben. Wir sind biologische Organismen; wir werden gezeugt und geboren, wir leben, wir sterben und wir verwesen. Und durch unsere Verwesung geben wir der Welt des Lebendigen neue Nahrung: den Pflanzen, Insekten und Bakterien.
    Nach Aussagen derer, die meinen Vater gekannt haben - den Mann, den ich nie kennen lernen konnte, den ich verlor, als ich drei war -, bin ich ihm in vielerlei Hinsicht ähnlich: in meiner Neugier und Intelligenz, in meiner Freundlichkeit und meinem Entgegenkommen; aber auch in der Art und Weise, wie ich die Zunge ein wenig herausstrecke, wenn ich mich angestrengt konzentriere. Ich bin stolz, dass auch meine Söhne die gleichen Eigenschaften erkennen lassen, und mit Freude stelle ich fest, dass eine meiner Enkeltöchter die Zunge auf typisch Bass’sche Weise herausstreckt, wenn sie mit Buntstiften malt oder die Strickmuster übt, die Carol ihr beigebracht hat. Irgendetwas von uns lebt also in denen weiter, die wir zurücklassen: unsere Gene, unsere Schrullen, unsere gemeinsamen Erlebnisse und mündlichen Überlieferungen.
    Ist das alles? Fast, glaube
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