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Der Ketzerlehrling

Der Ketzerlehrling

Titel: Der Ketzerlehrling
Autoren: Ellis Peters
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niedergeschrieben und trug sie mit neutraler Stimme und unparteiischer Miene vor, als hätte sogar er gespürt, daß sich die Atmosphäre innerhalb der Klostermauern zugunsten des Angeklagten verändert hatte.
    »Mylord, es sind vier Punkte: erstens glaubt er nicht, daß Kinder, die ungetauft sterben, der ewigen Verdammnis anheimfallen. Zweitens glaubt er aus diesem Grunde nicht an die Erbsünde, sondern behauptet, der Zustand der Neugeborenen sei der gleiche wie der Adams vor dem Sündenfall, nämlich der Zustand der Unschuld. Drittens behauptet er, daß sich ein Mensch durch sein eigenes Tun den Weg zur Erlösung bahnen könne, was von der Kirche als ein Leugnen der Gnade Gottes angesehen wird. Viertens lehnt er ab, was der heilige Augustinus über die Prädestination geschrieben hat, daß die Zahl der Auserwählten bereits feststeht und unveränderlich ist und alle anderen verdammt sind. Er sagt, er wäre eher der Ansicht des Origenes, der geschrieben hat, daß letzten Endes alle Menschen errettet würden, da alles von Gott käme und zu Gott zurückkehren müsse.«
    »Und diese vier Punkte sind alles, um was es hier geht?« fragte der Bischof nachdenklich.
    »So ist es, Mylord.«
    »Und was sagt Ihr dazu, Elave? Seid Ihr in irgendeinem dieser Punkte mißdeutet worden?«
    »Nein, Mylord«, sagte Elave entschlossen. »Ich stehe zu jedem einzelnen von ihnen. Allerdings habe ich Origenes nie erwähnt, denn der Name des Kirchenvaters, der schrieb, was ich für richtig hielt und noch halte, war mir damals noch unbekannt.«
    »Also gut! Betrachten wir den ersten Punkt, Eure Verteidigung der Neugeborenen, die ungetauft sterben. Ihr seid nicht der einzige, der Schwierigkeiten damit hat, ihre Verdammnis zu akzeptieren. Im Zweifelsfalle sollte man immer die Heilige Schrift zu Rate ziehen. Sie kann nicht falsch sein.
    Der Herr«, sagte der Bischof, »spricht: Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solcher ist das Himmelreich. Ich kann das nur so verstehen, daß er nie gefragt hat, ob sie getauft waren oder nicht, bevor er sie in die Arme nahm. Aber sagt mir, Elave, welchen Wert Ihr der Kindstaufe beimeßt, wenn sie nicht der einzige Weg zur Erlösung ist?«
    »Sie dient fraglos dazu, den Menschen in der Kirche und in der Welt willkommen zu heißen«, sagte Elave, noch unsicher in bezug auf seine Position und seinen Richter, aber hoffnungsvoll. »Wir kommen unschuldig zur Welt, aber eine solche Zugehörigkeit und ein solcher Segen sollen uns helfen, unsere Unschuld zu bewahren.«
    »Mit der Unschuld bei der Geburt kommen wir zum zweiten Punkt. Er ist Bestandteil des gleichen Gedankens. Ihr glaubt nicht, daß wir bereits mit der Sünde Adams beladen zur Welt kommen?«
    Blaß, halsstarrig und unnachgiebig sagte Elave: »Nein, das glaube ich nicht. Es wäre ungerecht. Wie könnte Gott ungerecht sein? Bis wir herangewachsen sind, haben wir schwer genug an unseren eigenen Sünden zu tragen.«
    »Das«, sagte der Bischof mit einem traurigen Lächeln, »dürfte für alle Menschen gelten. Der heilige Augustinus war der Ansicht, daß die Sünde Adams in all seinen Nachkommen fortbesteht. Vielleicht sollte man einmal darüber nachdenken, worin die Sünde Adams eigentlich bestanden hat. Nach Ansicht des Augustinus war es der fleischliche Akt zwischen Mann und Frau, den er für die Wurzel und den Ursprung aller Sünde hielt.
    Auch dies ist ein strittiger Punkt. Wenn das in jedem Falle Sünde wäre, wie hätte Gott dann den von ihm geschaffenen Geschöpfen befehlen können, sie sollten fruchtbar sein, sich mehren und die Erde füllen?«
    »Dennoch ist es wesentlich segensreicher, sich dessen zu enthalten«, erklärte Chorherr Gerbert kalt, aber vorsichtig, denn Roger de Clinton befand sich auf seinem eigenen Terrain und war ein edler, von allen geachteter Mann.
    »Für sich genommen sind weder der Akt noch die Enthaltsamkeit gut oder schlecht«, sagte der Bischof verbindlich, »sondern nur im Hinblick auf seinen Zweck und den Geist, in dem er vollführt wird. Welches war Euer dritter Punkt, Prior?«
    »Die Frage des freien Willens und der Gnade Gottes«, sagte Robert. »Und insbesondere, ob ein Mensch mit Hilfe seines freien Willens zwischen Gut und Böse wählen und, indem er dies tut, einen Schritt zu seiner Erlösung tun kann. Oder ob nichts, was er tut, so tugendhaft es auch sein mag, etwas bewirken kann, sondern nur die Gnade Gottes.«
    »Was das angeht, Elave«, sagte der Bischof und blickte in das
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