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Der Ketzerlehrling

Der Ketzerlehrling

Titel: Der Ketzerlehrling
Autoren: Ellis Peters
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tief eingedrungen und im Fleisch noch weiter zersplittert. Er holte Stückchen um Stückchen heraus und drückte auf die Stelle, um herauszufinden, ob noch etwas zurückgeblieben war. Dem Verhalten seines Patienten war nichts zu entnehmen; er stand still und unerschütterlich da, entweder von Natur aus schweigsam oder nur schüchtern und zurückhaltend an einem Ort, der ihm noch fremd war.
    »Spürt Ihr da drinnen noch etwas?«
    »Nein, nur den Wundschmerz, kein Stechen«, sagte der junge Mann.
    Der Weg des längsten Splitters zeichnete sich dunkel unter der Haut ab. Cadfael griff in den Schrank nach einer Lotion zum Säubern der Wunde, hergestellt aus Beinwell, Labkraut und Wundkraut, das seinen Namen mit gutem Grund trug. »Damit die Wunde nicht eitert. Wenn die Entzündung morgen noch nicht besser ist, kommt Ihr wieder zu mir, und dann baden wir sie noch einmal, aber ich glaube, Euer Fleisch wird gut heilen.«
    Edmund hatte sie verlassen, um seine Runde bei den alten Mönchen zu machen und die kleine ewige Lampe in ihrer Kapelle aufzufüllen. Cadfael schloß den Schrank und ergriff die Lampe, in deren Licht er gearbeitet hatte, um sie an ihren gewohnten Platz zurückzustellen. Sie zeigte ihm das Gesicht des Patienten von vorn, nahe und deutlich. Die tiefliegenden Augen, fest auf Cadfael gerichtet, mußten bei Tageslicht von einem dunklen, strahlenden Blau sein; jetzt wirkten sie fast schwarz. Der breite, bisher etwas verkniffene Mund entspannte sich plötzlich zu einem jungenhaften Lächeln.
    »Jetzt erkenne ich Euch wieder!« sagte Cadfael überrascht und erfreut. »Als ich Euch ankommen sah, war mir, als hätte ich Euer Gesicht schon einmal gesehen. Aber Euren Namen weiß ich nicht. Wenn ich ihn je wußte, dann habe ich ihn seit Jahren vergessen. Aber Ihr seid der Junge, der früher einmal der Schreiber von William von Lythwood war und mit ihm vor langer, langer Zeit auf Pilgerschaft gegangen ist.«
    »Vor sieben Jahren«, sagte der junge Mann, plötzlich erfreut, weil man sich seiner erinnerte. »Und mein Name ist Elave.«
    »Und jetzt seid Ihr wohlbehalten von Eurer Reise zurückgekehrt! Kein Wunder, daß Ihr ausgesehen habt wie jemand, der durch die halbe Welt gewandert ist. Ich weiß noch, wie Euer Herr seine letzte Gabe in die Kirche brachte, bevor er aufbrach. Er hatte vor, nach Jerusalem zu pilgern, und ich erinnere mich, daß ich mir damals fast wünschte, ich könnte ihn begleiten. Hat er die Stadt wirklich erreicht?«
    »Ja, das hat er«, sagte Elave und wurde noch lebhafter. »Wir haben sie erreicht. Was für ein Glück, daß ich in seine Dienste getreten war! Ich hatte den besten Herrn, den ein Mann überhaupt haben kann – schon bevor er auf den Gedanken kam, mich auf seine Reise mitzunehmen, weil er selbst keinen Sohn hatte.«
    »Nein, den hatte er nicht«, pflichtete Cadfael ihm bei, über sieben Jahre zurückblickend. »Es waren seine Neffen, die seine Geschäfte übernahmen. Er war ein kluger Mann, und er hat unserem Haus viele Wohltaten erwiesen. Es gibt hier noch eine ganze Reihe von Brüdern, die sich an seine Gaben erinnern werden …«
    Er gebot seinen Gedanken Einhalt. In der Hitze der Erinnerung hatte er ein paar Minuten lang die Gegenwart aus den Augen verloren. Und jetzt kehrte sie mit plötzlichem Begreifen zurück. Dieser Junge war mit einem einzigen Gefährten aufgebrochen, und mit einem einzigen Gefährten war er zurückgekehrt.
    »Wollt Ihr damit sagen«, sagte Cadfael nüchtern, »daß es William von Lythwood ist, den Ihr in einem Sarg heimgebracht habt?«
    »So ist es«, sagte Elave. »Er ist in Valognes gestorben, bevor wir Barfleur erreichen konnten. Er hatte Geld beiseite gelegt, damit ich, falls es passieren sollte, alles bezahlen und uns beide nach Hause bringen konnte. Er war krank, seit wir durch Frankreich nordwärts wanderten. Manchmal mußten wir unterwegs einen Monat oder länger Station machen, bevor er weiterkonnte. Er wußte, daß er dem Tode nahe war, aber er machte keine großen Worte darüber. Und die Mönche waren gut zu uns. Ich kann gut schreiben, ich arbeitete, wenn ich konnte. Wir haben getan, was wir tun wollten.« Er erzählte schlicht und gelassen; nach so langer Zeit mit einem Herrn, der in sich selbst und seinem Glauben ruhte und sich nicht vor dem Ende fürchtete, hatte sich der Junge die gleiche praktische Einstellung zum Leben angeeignet. »Ich muß seinen Verwandten Botschaften von ihm überbringen. Und er hat mich beauftragt, hier um eine
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