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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph
Autoren: Petra Gabriel
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sein.
«Sauerkraut können nur die Elsässer richtig stampfen.
Ich bin ein Fachmann für Sauerkraut. Unmöglich, dass eine
Baslerin das so zubereiten kann.»
«Ihr könnt kochen?»
«Nein, aber ich kann essen und ich bin Elsässer. Sauerkraut
ist eine Elsässer Spezialität. Also weiß ich, wovon ich
rede.»
Lachend stiegen die beiden Männer die steile Holztreppe zu
Waldseemüllers Kammer unter dem Dach hinauf, als hätten sie
es nie anders gehandhabt.
Waldseemüller öffnete die Türe, um Ringmann vorgehen zu
lassen. Der Raum war nicht sehr geräumig, um nicht zu sagen eng.
Er musste im Sommer brütend heiß sein und im Winter so kalt,
dass das Wasser in der Waschschüssel einfror, vermutete Ringmann.
Er hatte zu seiner Enttäuschung auch keinen Kamin, an dem er sich
hätte aufwärmen und trocknen können. Dafür war die
Bleibe wohl billig.
Ilacomylus hatte nicht viele Möbel: Da war ein Kastenbett,
immerhin mit einer Daunendecke, über die er im Winter noch seinen
mit Fuchspelz gefütterten Mantel legen konnte. Dazu eine kleinere
Truhe für die Hemden und Beinlinge und eine größere,
kunstvoll geschnitzte aus Eichenholz für seine wenigen
Manuskripte, die er, sorgsam in Leinen eingeschlagen, darin
aufbewahrte. Außerdem besaß er einen Tisch mit einem Stuhl,
ein Tintenfass und einen silbernen Kerzenständer mit einem
gewundenen Fuß. Es war das einzige Stück aus seiner
Vergangenheit, das er neben seinen Büchern und Handschriften nach
Basel mitgenommen hatte.
Im Moment präsentierte sich sein gesamtes Hab und Gut jedoch als
ein heilloses Durcheinander. Jemand hatte die Truhen aufgebrochen.
Offenbar mit dem Kerzenständer, denn der stand nicht mehr auf dem
Tisch, sondern lag auf dem Boden. Martin Waldseemüller starrte
entgeistert auf das Chaos, während es aus dem Saum seines Mantels
leise tropfte und sich auf den Holzdielen eine Wasserlache bildete. Die
kostbaren Manuskripte, handgefertigte Kopien von Texten von Ovid und
Vergil, waren auseinander gerissen, mit Tinte verschmiert und im
gesamten Zimmer verstreut. Teilweise hatten die Eindringlinge die
Seiten eingerissen, auf manchen prangten die Abdrücke dreckiger
Stiefel über den gemalten Buchstaben. Wer auch immer es gewesen
war – sie hatten gewütet wie die Berserker. Die Deckel der
gedruckten Bücher waren zerschnitten, die Bücher selbst mit
Brachialgewalt auseinander gerissen. Jemand hatte wohl sichergehen
wollen, dass nichts darin versteckt war.
Und die Kopie der Karte Cantinos war verschwunden. Das war eine
Katastrophe, auch wenn es eine schlampige und damit unzuverlässige
Reproduktion gewesen war. Wie sollte er sie nun mit der
ptolemäischen und den anderen Karten vergleichen können, in
denen angeblich die neu entdeckten Regionen bereits berücksichtigt
waren? Vor allem aber mit Vespuccis Aufzeichnungen.
«Sieht es bei Euch immer so aus, mein Freund?», erkundigte
sich Philesius, nachdem er sich von seinem ersten Schreck erholt hatte.
Martin Waldseemüller schüttelte fassungslos den Kopf.
«Ich habe den Druck von den Indiern bei Amerbach vergessen, den
ich dem Händler abgekauft hatte», erklärte er
völlig unmotiviert. Dann sank er aufs Bett.
«Das scheint heute nicht Euer Glückstag zu sein, werter
Ilacomylus», stellte Matthias Ringmann fest. Er packte den
umgefallenen Stuhl, zog seinen Mantel aus und hängte ihn sorgsam
zum Trocknen darüber. Dann machte er sich daran, die verstreuten
Blätter zusammenzusuchen.
2.
    Martin Waldseemüller schaute sich in seiner
Kammer um. Es machte ihm gehörig zu schaffen, dass Unbekannte in
seinen Sachen herumgewühlt hatten, in seinen intimsten Bereich
vorgedrungen waren. Er fühlte sich, als sei seine Seele
entblößt. Im Zimmer herrschte wieder Ordnung. Die
zerrissenen Blätter lagen sorgsam geordnet und in ihrem Leinentuch
in der Truhe. Er war sich allerdings nicht sicher, ob in der richtigen
Reihenfolge. Vielleicht sollte man bei Büchern grundsätzlich
Seitenzahlen einführen, auch Kapitelüberschriften. Er hatte
das schon gesehen. Eine solche Paginierung hatte viel für sich.
    Er wandte sich wieder seinen Kleidern zu und
musterte sie kritisch. Neben dem Alltags-Überrock lag der Brief,
den ein Diener Amerbachs diesen Vormittag vorbeigebracht hatte. Es war
eine Einladung «zu einem kleinen Essen mit einigen lieben
Gästen, die Ihr sicher gerne wiedersehen würdet».
Amerbach versprach, ihm dann auch das Blatt mit dem Holzdruck der
Indier zurückzugeben. Er habe es in seiner Druckerei ein
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