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Der Kampf mit dem Dämon

Der Kampf mit dem Dämon

Titel: Der Kampf mit dem Dämon
Autoren: Stefan Zweig
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nicht mitteilt der dumpfen stockenden Luft ihrer Zeit, daß die Gegenwart niemals fühlt und faßt, wenn über ihr ein Zeichen am Himmel des Geistes steht und die Flügel der Weissagung rauschen. Selbst der klarste Genius des Jahrhunderts war nicht deutlich genug
    , als daß die Zeit ihn verstanden hätte: wie jener Marathonläufer, der den Untergang des Perserreiches gesehen und, mit pochenden Lungen die vielen Meilen nach Athen rennend, die Botschaft nur in einem einzigen ekstatischen Schrei künden konnte (dann brach ihm das Blut tödlich aus der überhitzten Brust), so konnte Nietzsche die entsetzliche Katastrophe unserer Kultur nur verkünden und nicht verhindern. Nur einen ungeheuren, einen unvergeßlichen ekstatischen Schrei warf er in die Zeit: dann brach ihm der Geist.
    Seine wahre Tat aber für uns und alle hat sein bester Leser, Jakob Burckhardt, nach meinem Gefühl am besten ausgesagt, als er ihm schrieb, seine Bücher
    »vermehrten die Unabhängigkeit in der Welt«. Ausdrücklich sagte der kluge, weitwissende Mann: die Unabhängigkeit in der Welt; nicht die Unabhängigkeit der Welt. Denn die Unabhängigkeit existiert immer nur im Individuum, in der Einzahl, sie läßt sich nicht multiplizierenmit den Massen, sie wächst nicht aus Büchern und Bildung: »es gibt keine heroischen Zeitalter, es gibt nur heroische Menschen«. Immer ist es der einzelne, der sie mitten in die Welt und immer nur für sich allein errichtet. Denn jeder freie Geist ist ein Alexander, er erobert im Sturm alle Provinzen und Reiche, aber er hat keine Erben: immer verfällt ein Reich der Freiheit an Diadochen und Verwalter, an Kommentatoren und Erklärer, die Sklaven werden am Wort. Nietzsches großartige Unabhängigkeit schenkt darum keine Lehre (wie die Schulhaften meinen), sondern eine Atmosphäre , die unendlich klare, überhelle, von Leidenschaft durchstürmte Atmosphäre einer dämonischen Natur, die sich in Gewitter und Zerstörung erlöst. Tritt man in seine Bücher, so fühlt man Ozon, elementarische von aller Dumpfheit, Vernebelung und Schwüle entschwängerte Luft: man sieht frei in dieser heroischen Landschaft bis in alle Himmel hinauf und atmet eine einzig durchsichtige, messerscharfe Luft, eine Luft für starke Herzen und freie Geister. Immer ist Freiheit Nietzsches letzter Sinn – Sinn seines Lebens und Sinn seines Untergangs: wie die Natur Wirbelstürme und Zyklone, um ihre Überkraft in einer Revolte gegen ihren eigenen Bestand gewaltsam auszulassen, so braucht der Geist von Zeit zu Zeit einen dämonischen Menschen, dessen Übergewalt sich auflehnt gegen die Gemeinschaft des Denkens und die Monotonie der Moral. Einen Menschen, der zerstört und der sich selber zerstört; aber diese heroischen Empörer sind nicht minder Bildner und Bilder des Weltalls als die stillen Gestalter. Zeigen jene die Fülle des Lebens, so deuten diese seine unausdenkbare Weite. Denn immer nur an tragischen Naturen werden wir der Tiefe des Gefühls gewahr. Und nur an den Maßlosen erkennt die Menschheit ihr äußerstes Maß.
     
     
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