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Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Titel: Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)
Autoren: John Boyne
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zurückkommen; Gretel war untröstlich.) Und es gab noch etwas, worüber er sich freute: Jetzt nannte ihn niemand mehr kleiner Mann .
    Das Beste aber war, dass er einen Freund namens Schmuel hatte.
    Er ging gern jeden Nachmittag am Zaun entlang und freute sich, dass sein Freund neuerdings viel glücklicher wirkte und seine Augen nicht so tief in den Höhlen lagen, auch wenn sein Körper nach wie vor lächerlich dünn und sein Gesicht komisch grau war.
    Eines Tages, als er an ihrem gewohnten Platz Schmuel gegenübersaß, sagte Bruno: »Das ist die seltsamste Freundschaft, die ich jemals hatte.«
    »Warum?«, fragte Schmuel.
    »Weil ich bisher mit allen Jungen, die meine Freunde waren, spielen konnte«, erwiderte er. »Aber wir spielen nie zusammen. Wir sitzen nur immer da und reden.«
    »Ich sitze gern hier und rede«, sagte Schmuel.
    »Ja, ich natürlich auch«, sagte Bruno. »Aber es ist schade, dass wir nicht manchmal etwas Aufregenderes machen können. Vielleicht die Gegend ein wenig erforschen. Oder Fußball spielen. Wir haben uns noch nie ohne den Stacheldraht zwischen uns gesehen.«
    Bruno gab oft solche Bemerkungen von sich, weil er glaubte, damit den Vorfall vor einigen Monaten, als er seine Freundschaft zu Schmuel geleugnet hatte, ungeschehen machen zu können. Die Sache verfolgte ihn immer noch und stimmte ihn traurig, obwohl Schmuel, das musste man ihm zugute halten, offenbar alles vergessen hatte.
    »Vielleicht können wir eines Tages spielen«, sagte Schmuel. »Falls sie uns jemals rauslassen.«
    Bruno dachte immer häufiger über die beiden Seiten des Zauns nach und den Grund, warum es ihn überhaupt gab. Er überlegte, ob er mit Vater oder Mutter darüber reden sollte, befürchtete aber, dass sie entweder verärgert über ihn wären, wenn er das Thema erwähnte, oder sie ihm etwas Unangenehmes über Schmuel und seine Familie erzählen würden, daher machte er etwas ziemlich Ungewöhnliches. Er beschloss, mit dem hoffnungslosen Fall zu reden.
    Gretels Zimmer hatte sich beträchtlich verändert, seit er zum letzten Mal dort gewesen war. Zum einen war nicht eine einzige Puppe mehr in Sicht. Vor ungefähr einem Monat, um die Zeit, als Oberleutnant Kotler Aus-Wisch verlassen hatte, hatte Gretel eines Nachmittags beschlossen, dass sie keine Puppen mehr haben wollte, und hatte sie alle in vier große Tüten gepackt und weggeworfen. An ihrer Stelle hatte sie Europakarten aufgehängt, die Vater ihr geschenkt hatte, in die sie kleine Nadeln steckte, die sie jeden Tag nach einem Blick in die Zeitung umgruppierte. Bruno dachte, dass sie vielleicht langsam verrückt wurde. Aber zumindest ärgerte und tyrannisierte sie ihn nicht so wie früher, und deswegen fand er, es könnte nicht schaden, mit ihr zu reden.
    »Hallo«, sagte er und klopfte höflich an die Tür, weil er wusste, dass sie immer sauer wurde, wenn er einfach in ihr Zimmer platzte.
    »Was willst du?«, fragte Gretel, die an ihrer Frisierkommode saß und mit ihrem Haar experimentierte.
    »Nichts«, sagte Bruno.
    »Dann verschwinde.«
    Bruno nickte, trat aber trotzdem ein und setzte sich seitlich auf ihr Bett. Gretel betrachtete ihn aus dem Augenwinkel, sagte aber nichts.
    »Gretel«, sagte er schließlich. »Kann ich dich was fragen?«
    »Wenn es schnell geht«, erwiderte sie.
    »Alles hier in Aus-Wisch ...«, setzte er an, aber sie fiel ihm sofort ins Wort.
    »Es heißt nicht Aus-Wisch, Bruno«, sagte sie ärgerlich, als wäre es der schlimmste Fehler, den man überhaupt begehen konnte. »Warum kannst du es nicht richtig aussprechen?«
    »Es heißt aber Aus-Wisch«, protestierte er.
    »Nein«, behauptete sie und sprach den Namen des Lagers richtig für ihn aus.
    Bruno runzelte die Stirn und zuckte gleichzeitig die Schultern. »Genau das habe ich doch gesagt«, meinte er.
    »Nein, hast du nicht. Jedenfalls will ich nicht mit dir streiten«, sagte Gretel, die schon jetzt die Geduld verlor, von der sie ohnehin nicht viel hatte. »Worum geht es denn? Was willst du wissen?«
    »Ich will etwas über den Zaun wissen«, sagte er entschieden, denn das war für ihn zunächst das Wichtigste. »Ich möchte wissen, warum er dort ist.«
    Gretel drehte sich auf ihrem Stuhl um und sah ihn interessiert an. »Heißt das, du weißt es nicht?«, fragte sie.
    »Nein«, sagte Bruno. »Ich verstehe nicht, warum wir nicht auf die andere Seite dürfen. Was stimmt nicht mit uns, dass wir nicht hinübergehen und dort spielen dürfen?«
    Gretel starrte ihn an, dann lachte sie
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