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Der Junge aus dem Meer - Roman

Der Junge aus dem Meer - Roman

Titel: Der Junge aus dem Meer - Roman
Autoren: Aufbau
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Streben der Reling hindurch, während er am Arm seiner Mutter zerrte.
    Ich blickte hinunter auf die Wellen, die schäumend gegen die Fähre klatschten. Ein langer, dunkler Schatten schwamm dicht unterhalb der Wasseroberfläche; kurz darauf gesellten sich drei ähnliche Gestalten zu ihm, allesamt schlank und silbern. Ich schnappte nach Luft und mein Puls begann zu rasen.
    »Delphine!«, rief der Junge und hüpfte auf und ab. »Mom, da sind Delphine im Wasser!« Schnell versammelte sich eine Menschenmenge an der Reling; alle riefen durcheinander, schossen Fotos und rangelten um die beste Aussicht.
    Ich grinste. Waschechte Große Tümmler. Ich war von diesen lustigen, klugen Meeressäugetieren fasziniert, seitdem ich einmal einen Dokumentarfilm über sie gesehen hatte. Im Mutterleib bildeten die Delphinföten beinähnliche Ansätze von Gliedmaßen aus – ein Hinweis darauf, dass diese Kreaturen vor vielen, vielen Evolutionsphasen einmal an Land gelebt hatten. Das ist genau das, was ich an der Wissenschaft so liebe: die Überraschungen, die Geheimnisseund die Entdeckungen, die dir einen leichten Schwindel im Kopf verursachen. Als ich nun die Delphine spielen und in einem Bogen aus dem Wasser schießen sah – ihre Rückenflossen glänzten –, hatte ich wieder den Eindruck, dass es irgendetwas halb Fisch-, halb Menschartiges an ihnen gab. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass sie zu lächeln schienen.
    Die Delphine blieben dicht bei der Fähre, sogar während wir betriebsame Häfen anliefen, die von Cafés und pastellfarbenen Hotels gesäumt waren. Erst als wir den dritten Hafen verließen – die kichernden Mädchen waren hier von Bord gegangen –, verstreuten sich die Delphine, schwammen auf der Suche nach neuen Vergnügungen in unbekannte Tiefen davon. Ich bedauerte, sie abziehen zu sehen.
    »Glaubst du, dass sie irgendwas verängstigt hat, Miranda?«
    Erschrocken fuhr ich herum, nur um Matrosenmütze, den Fahrkartenkontrolleur, hinter mir zu entdecken, der ein geheimnisvolles Lächeln aufgesetzt hatte. Ich war so mit den Delphinen beschäftigt gewesen, dass ich sein Auftauchen auf dem Oberdeck gar nicht bemerkt hatte. Als ich mich umsah, stellte ich fest, dass sich das Schiff beträchtlich geleert hatte. Die einzig verbliebenen Passagiere waren der Junge und seine Eltern, die nun ihr Gepäck nach Sandwiches durchsuchten, sowie ein auffallend gut aussehender Mann mit grau meliertem Haar und sein ebenso gut aussehender Sohn, der eine SMS in sein iPhone tippte.
    Ich wandte mich wieder Matrosenmütze zu und zuckte mit den Achseln. »Was denn?«, fragte ich, wie um ihm einen Gefallen zu tun. »Haie vielleicht?«
    Matrosenmütze kicherte und schüttelte den Kopf. »Hier draußen gibt es nicht viele Haie. Sehr wahrscheinlich war esder Krake. Davon hast du doch bestimmt gehört, oder? Das Seeungeheuer mit den Tentakeln, so lang, dass sie ein ganzes Schiff vernichten könnten?!« Er senkte seine Stimme um eine Oktave und zog seine Augenbrauen hoch.
    Ich unterdrückte ein Lachen. »Ich schätze,
er
hat das richtige Alter für diese Geschichte.« Ich deutete auf den blonden Jungen, der grad damit beschäftigt war, ein Sandwich zu verschlingen.
    Obwohl, da wir gerade beim Thema sind, mein erster, einziger und – mittlerweile – Ex-Freund, Greg Aarons, von diesem Kraken geradezu besessen war, und er war immerhin siebzehn, nicht sieben. Im letzten April hatten wir sogar Teil zwei von Fluch der Karibik bei iTunes heruntergeladen und es uns auf seinem Laptop angesehen (in derselben Nacht übrigens, in der Greg versucht hatte, mich zum Ausziehen zu überreden. Und ich darauf bestanden hatte, meine Socken anzubehalten, was verständlicherweise seine Leidenschaft etwas dämpfte). Ich hatte allerdings nicht viel übrig für Magie; alles hatte eine logische Erklärung, einen Kern von Vernunft.
    »Glaubst du etwa nicht an den Kraken?«, fragte Matrosenmütze, wobei sein Grinsen breiter wurde. Seine gebräunte Haut hatte die lederartige, faltige Beschaffenheit, die von zuviel Aufenthalt in der Sonne zeugt.
    »Keineswegs«, erwiderte ich nüchtern und verschränkte meine Arme über der Brust. Ich wurde sauer, wenn irgendjemand versuchte, mich zum Narren zu halten. »Es ist ein Mythos. Vor Jahrhunderten hat irgendein betrunkener Matrose einen Riesentintenfisch gesehen und entschieden, es handle sich um ein Ungeheuer.«
    »Ah, ich verstehe«, sagte Matrosenmütze und trat einen Schritt auf mich zu. Ich drückte mich gegen die Reling
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