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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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mir eine private Anstellung in Aussicht. Diese Aufforderung von seiten eines trockenen, stolzen, mir gegenüber hochmütigen und nachlässigen Mannes, der mich in die Welt gesetzt, mich zu fremden Leuten gegeben, mich gar nicht kennengelernt und dies niemals auch nur bereut hatte (wer weiß, vielleicht hatte er von meinem Dasein überhaupt nur eine unklare, dunkle Vorstellung, da sich später herausstellte, daß auch das Geld fürmeinen Unterhalt in Moskau nicht von ihm, sondern von anderen gezahlt worden war), die Aufforderung von Seiten dieses Mannes, sage ich, der sich so plötzlich meiner erinnerte und mich eines eigenhändigen Schreibens würdigte, diese mir schmeichelhafte Aufforderung entschied mein Schicksal. In seinem Briefchen (es war nur eine knappe Seite kleinen Formats) gefiel mir seltsamerweise unter anderem besonders, daß er des Universitätsstudiums mit keinem Wort Erwähnung tat, mich nicht bat, meinen Entschluß zu ändern, mir keine Vorwürfe machte, weil ich nicht studieren wollte, kurz, keine väterlichen Redensarten von der üblichen Art machte, und dabei war gerade dies von seiner Seite insofern häßlich, als es seine Gleichgültigkeit mir gegenüber noch stärker zutage treten ließ. Ich entschloß mich, hinzufahren, auch deshalb, weil dies meinem Hauptplan nicht hinderlich war. ›Ich will sehen, was daraus wird‹, dachte ich, ›jedenfalls binde ich mich an sie nur für eine gewisse Zeit, vielleicht nur für ganz kurze Zeit. Sowie ich aber sehen sollte, daß dieser wenn auch nur konventionelle und unbedeutende Schritt mich doch von meinem Hauptplan entfernt, werde ich sogleich mit ihnen brechen, alles im Stich lassen und mich in mein Gehäuse zurückziehen.‹ Geradeso sagte ich zu mir: in mein Gehäuse! ›Ich werde mich wie eine Schildkröte in meinem Gehäuse verbergen‹, dieser Vergleich gefiel mir sehr. ›Ich werde nicht mehr allein sein‹, fuhr ich in meinen Überlegungen fort, während ich diese ganzen letzten Tage in Moskau wie betäubt umherging, ›ich werde jetzt nie mehr allein sein wie bisher so viele schreckliche Jahre hindurch: ich werde jetzt meine Idee haben, der ich niemals werde untreu werden, nicht einmal, wenn ich an allen Menschen dort Gefallen fände und sie mich glücklich machten und ich mit ihnen sogar zehn Jahre zusammen lebte!‹ Aber, wie ich im voraus bemerke, gerade diese Empfindung, gerade diese Zwiespältigkeit meiner schon in Moskau festgelegten Pläne und Ziele, eine Zwiespältigkeit, deren ich mir in Petersburg jederzeit bewußt blieb (denn ich weiß nicht, ob es in Petersburg einen Tag gegeben hat, den ich mir nicht als den endgültigen Termin angesetzt hätte, um mit ihnen zu brechen und davonzugehen), diese Zwiespältigkeit, sage ich, war wohl eine der Hauptursachen der vielen Unvorsichtigkeiten,Schändlichkeiten, ja Gemeinheiten und natürlich auch Dummheiten, die ich in diesem Jahr begangen habe.
    Natürlich, ich bekam auf einmal einen Vater, den ich vorher noch nie gehabt hatte. Dieser Gedanke berauschte mich geradezu, sowohl während der Reisevorbereitungen in Moskau, als auch während ich dann im Zug saß. Daß er mein Vater war, schien mir dabei noch nicht das wichtigste, und von Zärtlichkeiten war ich kein Freund, aber wie war es möglich gewesen, daß dieser Mensch mich nicht hatte kennen wollen und mich gedemütigt hatte, während ich diese ganzen Jahre über mich gleichsam in Träumen an ihn angesaugt hatte (wenn man sich bei Träumen so ausdrücken kann)? In allen meinen Träumereien, von meiner Kindheit an, hatte ich mich mit ihm beschäftigt, meine Gedanken hatten sich um ihn gedreht, er war immer der definitive Endpunkt gewesen. Ich weiß nicht, ob ich ihn gehaßt oder geliebt habe, aber er hatte mit seiner Persönlichkeit alle meine Gedanken an die Zukunft, alle meine Spekulationen auf das Leben angefüllt – und das war ganz von selbst gekommen, zugleich mit meinem Heranwachsen.
    Zu meiner Abreise von Moskau trug auch noch ein mächtiger Umstand bei, eine Verlockung, die schon drei Monate vor der Abreise (also zu einer Zeit, wo von Petersburg noch gar nicht die Rede war) mein Herz hatte höher schlagen lassen! Ich fühlte mich nach jenem unbekannten Ozean schon deshalb hingezogen, weil ich ohne weiteres als Herrscher auf ihn hinausfahren konnte, sogar als Herr über fremde Schicksale, und über die Schicksale von was für Menschen! Aber nur großmütige, nicht despotische Gefühle wallten in meinem Innern, das schicke ich voraus,
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