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Der Hund kommt - Roman

Der Hund kommt - Roman

Titel: Der Hund kommt - Roman
Autoren: Christine Noestlinger
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trösten.
    Kontrollgänge machte er auch. »Wollte nur schaun, ob’s Wasser noch abrinnt«, fragte er an einer Tür.
    »Wollte nur schaun, ob’s mit der Schule klappt«, fragte er an einer anderen Tür.
    »Wollte nur schaun, ob die Liebe noch anhält«, fragte er an einer dritten Tür.
    Wenn er gute Auskunft bekam, freute er sich mächtig. Jedenfalls war er sehr beschäftigt. Er war so in seine Entstörungen vertieft, dass er darüber fast den Bären vergessen hätte. So erschrak er richtig, als er am Samstag über den Marktplatz ging und an einem Baumstamm ein Plakat sah. Auf dem Plakat war der Bär zu sehen. Er hatte einen Schleierhut auf und allerhand Klunker an den Ohren und Lidschatten über den Kulleraugen und eine Perlenkette um den Hals. Quer über dem Busen vom Bären stand:
    Unsere Kandidatin für den Gemeinderat spricht zu Ihnen am Sonntag um 11 Uhr auf der Festwiese!
    Der Hund vergaß im Nu alle Entstörungen, die er sich für diesen Tag vorgenommen hatte. »Ich muss dem Wahnsinn Einhalt gebieten«, rief er, lief zum Postamt und füllte ein Telegrammformular aus:
    KEHRE HEIM STOPP ALLE BRÜDER UND SCHWESTERN SCHWER ERKRANKT STOPP, schrieb er. Er wusste, dass der Bär seine Geschwister sehr lieb hatte, und dachte: Wenn er das liest, reist er ab und lässt die Frauenpolitik den Frauen.
    Das Postfräulein las die Telegrammadresse und sagte: »Das ist ja gleich um die Ecke. Warum gehen Sie nicht selbst hin?«
    Der Hund log: »Weil ich nicht gern traurige Sachen ausrichte.«
    Das sah das Postfräulein ein. »In einer Stunde«, sagte es, »wird das Telegramm ankommen.«
    Der Hund wartete, hinter seiner Zeitung, vor dem Bärenhaus. Er sah den Bären im Zimmer sitzen, zusammen mit einer Henne, einer Sau, einem Schaf und einer blonden Frau.
    Die gestreifte Ziege sah der Hund auch. Sie stand hinter ihrem Fenster und hatte den Feldstecher vor den Augen. Ob sie ihn oder das Bärenfenster im Visier hatte, war dem Hund nicht klar. Genau wie das Postfräulein gesagt hatte – nach einer Stunde kam der Telegrammbote und ging ins Bärenhaus und gab dem Bären das Telegramm. Der Bär riss es auf, las und rief: »Das ist eine Finte! Man will meine morgige Rede verhindern! Meine Familie weiß ja gar nicht, dass ich hierorts lebe!« Und die Henne schaute das Telegramm auch an und gackerte: »Genau! Es ist hier im Ort aufgegeben! So eine Hinterhältigkeit!«
    Der Hund wurde nur selten ordinär, doch nun fluchte er: »Himmel, Arsch und Zwirn!« Er war bitter enttäuscht, dass der Trick nicht gewirkt hatte. Niedergeschlagen ging er heim und legte sich ins Bett. Vielleicht, dachte er, kommt mir morgen früh eine Idee.
    Diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Der Hund wachte genauso ratlos auf, wie er eingeschlafen war. Und leider zu spät. Halb zehn war es. Jetzt hilft kein Trick mehr, dachte er, jetzt hilft nur noch: Ins-Gewissen-Reden! Ohne Frühstück raste er aus dem Haus, zum Bärenhaus hin. Doch die Bärentür war versperrt. Verzweifelt rüttelte der Hund an der Tür. Da ging ein Riesengezeter los. »He, Sie«, kreischte die Ziege von gegenüber. »Was treiben Sie sich da dauernd herum. Ich rufe gleich die Polizei!«
    Wie ein geölter Blitz wetzte der Hund ab. Die Polizei hätte ihm gerade noch gefehlt! Quer durch den Ort flitzte er und hielt erst auf der Landstraße an, als er stechende Atemnot bekam.
    Verzagt und keuchend hockte er sich am Rand einer Wiese unter einen Vogelbeerbaum.
    Als eine dicke Wolke am Himmel aufzog, schöpfte der Hund wieder Hoffnung. Wenn es regnet, fallen nämlich Versammlungen unter freiem Himmel ins Wasser! Der Hund redete der Wolke gut zu. »Vermehre dich, liebe Wolke«, sprach er zum Himmel hinauf. »Werde groß und größer und grau und grauer. Gewittere, schütte, prassle hernieder!«
    Die Wolke scherte sich nicht um den Hund. Sie zog weiter und der Himmel war wieder blau. Traurig schaute der Hund der Wolke nach, wie sie am Horizont, hinter den Dächern des Ortes, verschwand.
    Und da sah er, vom Ort her, zwei Autos herankommen. Eins war ein Lastwagen, eins war das Auto vom Bären.
    Die beiden Autos hielten, kaum zehn Schritte vom Hund entfernt. Der Hund verkroch sich in ein Gebüsch.
    Aus dem Bärenauto kletterten der Bär, die Henne, die Sau, das Schaf und die blonde Frau. Aus dem Lastauto sprangen drei Hündinnen, vier Katzen und fünf Ziegen. Sie machten die Türen vom Lastauto auf und räumten ein Rednerpult heraus und holten Kabel aus dem Wagen und einen großen Tisch und etliche kleine
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