Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Horizont: Roman (German Edition)

Der Horizont: Roman (German Edition)

Titel: Der Horizont: Roman (German Edition)
Autoren: Patrick Modiano
Vom Netzwerk:
Kreis der Astarte immer behalten. Auf dem Vorsatzblatt stand eine Widmung: »Für Maurice Braive und für die Freunde und Freundinnen aus der Rue Bleue.« Er hatte das Buch, das mit seinen vierzig Seiten eher wie eine Broschüre aussah, flüchtig durchgelesen. Es ging um Okkultismus, und nach allem, was Bosmans zu verstehen geglaubt hatte, machte sich André Poutrel in Der Kreis der Astarte zum Wortführer einer unabhängigen Gruppe der Hautes Études Ésotériques.
    »Für die Freunde und Freundinnen aus der Rue Bleue« … Ja wirklich, alles verschmolz am Ende ineinander, und die von der Zeit gesponnenen Fäden waren so zahlreich und so verworren … Am Abend ihrer ersten Begegnung waren Margaret und er in einer Apotheke an der Rue Bleue gestrandet. Und zwanzig Jahre später hatte er eine Wohnung besichtigt, im ersten Stock der Nummer 27, in derselben Straße. Der Concierge, ein alter Mann, hatte gesagt: »Wissen Sie, hier sind die seltsamsten Dinge passiert, früher mal …« Bosmans erinnerte sich an die Widmung im Buch.
    »Meinen Sie einen Monsieur Maurice Braive?«
    Der andere schien erstaunt, dass ein jüngerer Mann sich so gut erinnern konnte. Er hatte ihm zwar einige Erklärungen geliefert, aber sie waren nicht sehr erhellend. Dieser Maurice Braive versammelte Männer und Frauen hier in dieser Wohnung der Nummer 27, Rue Bleue, um sich mit Magie zu beschäftigen und mit anderen, »vom sittlichen Standpunkt« noch weit tadelnswerteren Experimenten. Die Messe d’or und die eucharistische Transmission, die in Der Kreis der Astarte erwähnt wurden? Er war schließlich verhaftet worden, mitsamt den Mitgliedern seiner Gruppe. Er war Ausländer, und man hatte ihn in sein Herkunftsland abgeschoben.
    Bosmans hatte auf gut Glück gefragt:
    »Und ein gewisser André Poutrel, sagt Ihnen das etwas?«
    Der Concierge hatte die Stirn gerunzelt, als versuchte er sich an die Namen der »Freunde und Freundinnen aus der Rue Bleue« zu erinnern.
    »Ach, wissen Sie, an dem Abend, als die alle hoppgenommen wurden, da waren mindestens zwanzig hier. Eine richtige Razzia, Monsieur.«
    Am ersten Nachmittag, an dem Margaret den kleinen Peter nach der Schule heimgebracht hatte, war auch Bosmans dabei. Sie hatten Doktor Poutrel im Vorzimmer der Wohnung angetroffen.
    »Sie haben also mein Buch gelesen? Hat es Sie nicht schockiert?«
    Er lächelte spöttisch.
    »Es hat mir gut gefallen«, hatte Bosmans gesagt. »Ich interessiere mich sehr für Okkultismus … aber ich verstehe nicht viel davon …«
    Er bedauerte, dass er in diesen leicht ironischen Ton verfallen war. Na ja, er hatte sich einfach angepasst. Diesen Ton schlug Doktor Poutrel häufig an, wenn er mit ihm sprach. Dieses Buch … eine Jugendsünde, hatte Poutrel wiederholt und die Hand auf die Schulter des kleinen Peter gelegt. Er lächelte. Er hatte noch scherzend zu Bosmans gesagt:
    »Ich bin erleichtert, dass kein Exemplar mehr in Ihrer Buchhandlung liegt. Es ist besser, die Beweisstücke ein für allemal verschwinden zu lassen.«
    Am Abend in Auteuil, in der Bar von Jacques dem Algerier, erklärte ihm Margaret, ihre neuen Chefs – den Ausdruck gebrauchte sie – hätten überhaupt keine Ähnlichkeit mit Professor Ferne und seiner Frau. Nach allem, was sie verstanden hatte, war Doktor Poutrel Osteopath. Sie hatten diesen Begriff in einem Wörterbuch nachgeschlagen, und vierzig Jahre später erschien Bosmans ihr Vorgehen reichlich naiv … Als könnte man einen André Poutrel durch eine genaue Definition dingfest machen, so wie ein Sammler einen Schmetterling in einem Kasten aufspießt … Der Doktor hatte Margaret ihren Monatslohn auf komische Art im voraus bezahlt: Sie hatte ihn zerknitterte Schecks aus der Tasche ziehen sehen, dann hatte er irgendeinen ausgesucht, der von einem Patienten stammte, Margarets Namen hinzugefügt und gesagt, sie solle ihn bei einer nahe gelegenen Bank in der Avenue Victor-Hugo einlösen. Und dieser Lohn war dreimal so hoch wie ihr Verdienst bei Professor Ferne. Offenbar arbeitete Yvonne Gaucher mit dem Doktor zusammen, denn sie verfügte über ein eigenes kleines Sprechzimmer am Ende der Wohnung. Die Patienten sahen einander nie im Warteraum und konnten sich auch nicht zufällig begegnen: sie wurden über einen langen Flur hinausgeleitet, der ins Treppenhaus eines anderen Gebäudes führte. Warum? Aus Neugier hatte sie diesen Weg mit dem kleinen Peter genommen, und sie waren in der Rue de la Faisanderie herausgekommen. Übrigens
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher