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Der Horizont: Roman (German Edition)

Der Horizont: Roman (German Edition)

Titel: Der Horizont: Roman (German Edition)
Autoren: Patrick Modiano
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Ein dicker, weißhäutiger Bursche, unzertrennlich von Mérovée, hing immerzu mit verschüchterter und zugleich bewundernder Miene an seinen Lippen. Ein Blonder mit knochigem Gesicht trug eine getönte Brille und einen Siegelring und schwieg die meiste Zeit. Der älteste von ihnen mochte etwa fünfunddreißig sein. An sein Gesicht erinnerte sich Bosmans deutlicher als an das von Mérovée, ein aufgedunsenes Gesicht, eine kurze Nase, durch die er einen Bulldoggenschädel bekam, unter dem glatt nach hinten gebürsteten brünetten Haar. Er lächelte nie und gab sich sehr autoritär. Bosmans hatte zu verstehen geglaubt, dass er ihr Büroleiter war. Er redete streng mit ihnen, als sei er für ihre Erziehung verantwortlich, und die anderen hörten ihm zu, wie brave Schüler. Nur hin und wieder erlaubte sich Mérovée eine unverschämte Bemerkung. An die anderen Gruppenmitglieder erinnerte sich Bosmans nicht. Schatten. Das Unbehagen, das dieser Name, Mérovée, bei ihm auslöste; er spürte es von neuem, nachdem zwei Wörter wieder in seinem Gedächtnis aufgetaucht waren: die »Fröhliche Bande«.
    Eines Abends, als Bosmans wie gewöhnlich vor dem Gebäude auf Margaret Le Coz gewartet hatte, waren Mérovée, der Büroleiter und der Blonde mit der getönten Brille als erste herausgekommen und auf ihn zugegangen. Der Büroleiter hatte ihn ohne Umschweife gefragt:
    »Wollen Sie der Fröhlichen Bande angehören?«
    Und Mérovée hatte sein Greisengelächter angestimmt. Bosmans wusste nicht, was er antworten sollte. Die Fröhliche Bande? Der andere, immer noch mit seinem strengen Gesicht, mit seinem harten Blick, hatte gesagt: »Das sind wir, die Fröhliche Bande«, und Bosmans hatte das eher komisch gefunden, wegen des schaurigen Tons, den er angeschlagen hatte. Doch während er die drei an jenem Abend betrachtete, hatte er sich vorgestellt, wie sie mit dicken Knüppeln in der Hand über die Boulevards zogen und von Zeit zu Zeit überraschend auf einen Passanten einschlugen. Und jedesmal hätte man Mérovées piepsiges Lachen gehört. Er hatte ihnen gesagt:
    »Was die Fröhliche Bande betrifft … lassen Sie mir noch ein wenig Bedenkzeit.«
    Die anderen schienen enttäuscht. Im Grunde hatte er sie kaum gekannt. Er war nicht öfter als fünf-, sechsmal allein mit ihnen zusammengewesen. Sie arbeiteten im selben Büro wie Margaret Le Coz, und von ihr waren sie ihm vorgestellt worden. Der Brünette mit dem Bulldoggenschädel war ihr Vorgesetzter, und sie musste freundlich zu ihm sein. An einem Samstagnachmittag hatte er sie auf dem Boulevard des Capucines getroffen, Mérovée, den Büroleiter und den Blonden mit der getönten Brille. Sie kamen aus einer Turnhalle. Mérovée hatte gedrängt, dass er auf »ein Glas und eine Makrone« mit ihnen komme. Er war auf der anderen Seite des Boulevards gelandet, an einem Tisch der Teestube La Marquise de Sévigné. Mérovée schien begeistert, dass er sie alle in dieses Lokal geschleppt hatte. Er rief eine der Kellnerinnen herbei, in Stammgastmanier, und bestellte mit schneidender Stimme »Tee und Makronen«. Die beiden anderen betrachteten ihn mit einer gewissen Nachsicht, was Bosmans bei dem Büroleiter erstaunt hatte, der ja normalerweise so streng war.
    »Also, was unsere Fröhliche Bande angeht … haben Sie eine Entscheidung getroffen?«
    Mérovée hatte Bosmans in barschem Ton die Frage gestellt, und dieser suchte nach einer Ausrede, um aufzustehen. Er hätte ihnen zum Beispiel sagen können, er müsse telefonieren gehen. Dann würde er sich davonschleichen. Aber er dachte an Margaret Le Coz, die ihre Bürokollegin war. Er lief Gefahr, ihnen jeden Abend wiederzubegegnen, wenn er sie abholte.
    »Also, was ist, haben Sie Lust, Mitglied unserer Fröhlichen Bande zu werden?«
    Mérovée drängte, immer aggressiver, als wollte er Bosmans herausfordern. Man hätte glauben können, die zwei anderen machten sich bereit, einem Boxkampf zu folgen, der Brünette mit dem Bulldoggenschädel zeigte ein feines Lächeln, der Blonde war völlig unbewegt hinter seiner getönten Brille.
    »Wissen Sie«, hatte Bosmans mit ruhiger Stimme erklärt, »seit Internat und Kaserne mag ich keine Banden mehr.«
    Mérovée hatte, von dieser Antwort aus der Fassung gebracht, sein Greisengelächter angestimmt. Sie hatten von etwas anderem gesprochen. Der Büroleiter hatte Bosmans mit ernster Stimme erklärt, dass sie zweimal pro Woche in die Turnhalle gingen. Sie trainierten mehrere Sportarten, darunter
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