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Der Hollywood-Mord

Der Hollywood-Mord

Titel: Der Hollywood-Mord
Autoren: Joseph Wambaugh
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Tisch, und diesmal segelte die Katze davon.
    Al Mackey sah, wie die Reste des irischen Whiskeys auf die filzige, schmierige Orientbrücke tropften, die, wie alles in dieser Junggesellenbehausung, der Vermieterin gehörte. Al Mackey hörte, wie die Katze sich laut schimpfend auf ihr Lager in der Ecke des Badezimmers zurückzog.
    Al Mackey war bereit, es der Welt zu zeigen. Er ging aufrecht zu seinem Schrank. Er warf ein Trainingshemd und zwei Paar Joggingschuhe auf den Fußboden. In den letzten zwei Jahren war er nie mehr gelaufen. Er kickte die Joggingschuhe quer durchs Zimmer. Er fühlte das Leder. Er holte sie wieder vom Regal und torkelte zurück in die Küche, an den Kunststofftisch.
    Das hier war nicht der Schwanz von irgendeinem. Er zog den zweizeiligen Colt-Revolver aus dem schwarzen, ledernen Halfter, seine andere Kanone.
    Eine »Freizeitkanone«. Es war das erste Ding, mit dem sie alle vor zweiundzwanzig Jahren herumgemacht hatten, all die durchtrainierten, geschrubbten, muskelharten Polizeirekruten mit ihren großen Augen, den kurzgeschnittenen Haaren und großen Erwartungen. Dodge City. Das John-Wayne-Syndrom. Sie rannten los und kauften »Freizeitkanonen«. Sie wären in keinen Lebensmittelladen gegangen, ohne daß sie ihre Freizeitkanone in der Tasche oder unter der Achsel oder am Fußknöchel festgeschnallt oder wenigstens unter dem Sitz ihres Kombis gehabt hätten. Immer darauf gefaßt, sie könnten einen Handtaschenräuber bei der Arbeit treffen. Oder einen nächtlichen Einbrecher, der aus dem Fenster eines Nachbarn kletterte. Oder (durften sie es hoffen?) einen Banditen, der gerade den Kassierer der örtlichen Bank überfiel, während sie am Nebenschalter in Zivil ihren Los-Angeles-Gehaltsscheck einwechselten. Dann eine Schießerei! (Sie gewinnen natürlich.) Die Los Angeles Times. Ein Fernsehinterview. Die Verdienstmedaille vielleicht? Eine beschleunigte Versetzung zur Geheimpolizei. Ruhm.
    Das Syndrom verschwand schnell. Die Freizeitkanone wurde verkauft oder gegen einen brauchbareren Revolver eingetauscht oder weggepackt in den Schrank der Jugendträume.
    Al Mackey war ein so schlechter Schütze, daß er die Pistolenschußweite auf dem Schießstand immer mit seinem Sechszöller schoß. Und obgleich der sehr sperrig war, trug er immer den bei sich in all den Jahren als Detective. Nicht, daß er immer noch auf phantastische Schußwechsel wartete – er haßte sie einfach, diese schweinerüsseligen, ungenauen, kugelspritzenden Freizeitkanonen, die tatsächlich jede Menge von Los-Angeles-Cops in den Bars und Betten zwischen Sunland und San Pedro in zahllose Schwierigkeiten gebracht hatten.
    Plötzlich zielte er damit auf sein eigenes Gesicht. Das ist nicht der Schwanz von irgendeinem. Versuch nicht, auf diesem Baby herumzulutschen. Dies war nicht vertraut, dies war eine brandgefährliche Maschine, die, wenn sie richtig benutzt werden würde, ein drei Zoll großes Stück glänzende Schädeldecke quer durch die Küche direkt aufs Fensterbrett katapultieren könnte. Ob die dreckige Katze sein Blut trinken würde?
    Seine Hand begann zu zittern. Das war's, warum die, die es wirklich ernst meinten, ihn sich zwischen die Zähne steckten. Friß ihn. Kau dran rum. Steck ihn dir in den Mund, weil deine Hand zu stark zittert, um ins Auge oder auf die Schläfe zu zielen. Aber ziel nach oben. Er konnte sich an so viele Fehlschüsse erinnern: Kugeln, die im weichen Gaumen steckengeblieben waren, im Kieferknochen, im Genick, im Ohr. An jeder verdammten Stelle, bloß nicht im Gehirn, wo sie hin sollten. Dann: Todesqualen, Lähmung, Verblödung. Totaler Fehlschuß.
    Er machte den Mund auf. Er brachte den Zweizöller dichter ran. Kau auf diesem Baby rum. Aber die Kugeln sind zweiundzwanzig Jahre alt. Er hatte nie daran gedacht, sie auszutauschen. Er hatte die Kanone nie gebraucht. Sie war verstaubt. Die Trommel konnte festgerostet sein. Er hatte sie von Zeit zu Zeit abgewischt, aber nie abgefeuert. Die Kugeln waren zweiundzwanzig Jahre alt! Wahrscheinlich würden sie nicht losgehen. Der Abzugshahn würde nur ein nettes großes Loch in eine Blindgängerpatrone schlagen. Die würden doch niemals losgehen. Er spielte nur ein Spiel.
    Okay, Versuchs. Drück ab. Er war klitschnaß. Der Schweiß lief ihm über die Wangen. Al Mackey war erst dreiundvierzig Jahre alt, aber seine Wangen waren grau, hohl, eingefurcht. Die fettigen Rinnsale suchten sich einen Weg durch die Falten seines Gesichts. Seine Hand zitterte nicht mehr so
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