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Der Hollywood-Mord

Der Hollywood-Mord

Titel: Der Hollywood-Mord
Autoren: Joseph Wambaugh
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die Kohlen pusten mußte, um sie zum Glühen zu bringen, bis aus dem durchbrochenen Deckel die Rauchwolken aufstiegen. Aber noch schlimmer als die Prozession durch das dunkle Seitenschiff war das Knien während der Vierzigstundenandacht, in einer leeren Kirche, kalt und schattenverwoben, in den Stunden der Dämmerung, wenn die verwundeten, gefolterten Heiligen und Märtyrer sich wie blutige Phantome in der Dunkelheit abzeichneten. Gleichgültig, wieviel eigene Schmerzen der Meßdiener in den Stunden auf den hölzernen Bänken ertrug, er könnte natürlich niemals abschätzen, welche schrecklichen Qualen diese Heiligen erlitten hatten, die für alle Zeiten in Farbe, Gips und Bleiglas verewigt waren.
    Und jedesmal, wenn er sich einen Augenblick lang hinsetzte, um sich von den Muskelkrämpfen zu erholen, würden sofort Schwester Helen oder Pater Dominic in ihren schwarzen Gewändern auftauchen und ihn an die besondere Verpflichtung eines Meßdieners erinnern, den Schmerz zu ertragen und diese winzigen, unbedeutenden Momente des Leidens unserem Herrn und seiner Mutter als besonderes Opfer darzubringen. Qualen waren ein Privileg, wenn sie klaglos ertragen und ihnen dargebracht wurden.
    Der große Priester, zerbrechlich wie ein hochbeiniger afrikanischer Steppenvogel, pflegte mit seinem knochigen Finger auf die blutenden Märtyrer zu zeigen, die einst ins Feuer geworfen, gehäutet, in Stücke gerissen, geblendet, verstümmelt und lebendig begraben worden waren. Erinnerst du dich an die Erzählung der Mutter Oberin von der Leiche eines Kandidaten für die Heiligsprechung, die vom Vatikan wieder ausgegraben wurde, auf der Suche nach wunderbaren Zeichen? Sie fanden Haare in den Händen des Skeletts! Der Beweis dafür, daß er sich, nachdem er lebendig begraben worden war, verzweifelt die eigenen Haare vom Kopf gerissen hatte, statt heiter zu sterben, sechs Fuß unter der schwarzen Erde, und voller Triumph auf den letzten Atemzug und die garantierte Erlösung zu warten. Aber sie fanden Haare in den Händen des Skeletts. Nicht nur, daß er deshalb niemals heiliggesprochen werden würde, sondern die Mutter Oberin sorgte sich sogar noch um die wirkliche Erlösung dieses Kleingläubigen.
    »Qualen sind ein Privileg, Martin.« Der durchdringende Tenor des Priesters hallte furchterregend durch die ständig dunkle Kirche. »Du solltest dankbar sein, Martin. Begreifst du das, Martin? Ja? Tatsächlich? Richtig? Martin? Martin?«
    »Martin! Martin! Gottverdammt, Martin!«
    Al Mackey löste Schnallen und Gurte, die den schweren Körper seines Partners nach unten zerrten. »Martin, du gottverdammter Idiot!«
    Dann lag Martin Welborn auf dem Fußboden seines Schlafzimmers, unfähig, den Kopf auch nur ein Stückchen zu heben.
    Er wußte nicht, wo er war. Er wußte nicht, wer er war. Es konnte ein Traum sein oder nicht, dieser schwebende Geist, der ihn in eine sitzende Position zerrte.
    Am Ende lächelte Martin Welborn. »Sag mal, Al, bin ich ein Mensch, der träumt, er wär ein Schmetterling, oder ein Schmetterling, der träumt, er wär ein Mensch?«
    »Du bist 'n Riesenidiot, Marty, das bist du. Gottverdammt!«
    »Das ist sehr gut möglich«, antwortete Martin Welborn.
    »Was, zum Teufel, machste hier eigentlich?«
    Der magere Detective griff dem nackten Mann unter die Arme und stellte ihn wieder auf die Füße. Martin Welborn streckte die Hände aus, um sich gegen die Wand zu stützen, unterschätzte aber die Entfernung, geriet ins Taumeln und setzte sich auf Bett.
    »Marty, was ist das fürn Ding?« fragte Al Mackey und deutete auf die Aluminiumstangen, Netze und baumelnden Gurte, eine Art Galgen in Martin Welborns ordentlich aufgeräumtem Schlafzimmer.
    »Das ist ein Wirbelsäulenstreckapparat. Wie du weißt, hab ich Probleme mit dem Rücken.«
    »Probleme mit dem Rücken. Marty, du hast Probleme mit dem Kopf. Noch schlimmer, als ich dachte.«
    »Al, Al« – Martin Welborn grinste fröhlich, stand auf und schlüpfte in seine Unterwäsche und die Hose, die ordentlich auf dem Bett gelegen hatte – »das war irrsinnig gut für meine Lendenwirbel. Ich hänge zweimal am Tag mit dem Kopf nach unten, morgens und abends. Das streckt meine Wirbelsäule, und ich brauch vor den Rückenschmerzen keinen Moment mehr Angst zu haben.«
    »Marty, ich hab bald fünf Minuten lang an deine Tür gehämmert. Ich hab die Dusche gehört und dachte, du bist vielleicht in die Wanne gefallen. Himmel Herrgott, ich hab das Schloß geknackt!« Al Mackey zeigte
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