Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hexer - NR02 - Der Seelenfresser

Der Hexer - NR02 - Der Seelenfresser

Titel: Der Hexer - NR02 - Der Seelenfresser
Autoren: Verschiedene
Vom Netzwerk:
selbst geohrfeigt. Temples Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse des Hasses. Ganz gleich, ob er mir glaubte oder nicht – diese bedauernswerte Kreatur dort drinnen war sein Sohn! Meine Worte mußten wie grausamer Hohn in seinen Ohren klingen.
    »Was bedeutet das alles?« fragte ich, nun wieder an Ayres gewandt.
    Die alte Frau sah mich einen Herzschlag lang mit undeutbarem Blick an, ehe sie antwortete. Es war absurd – von allen hier war sie die einzige, die mich bisher nicht als Feind behandelt hatte. Sie hatte mich im Gegenteil sogar in Schutz genommen, und wahrscheinlich hatte ich es einzig ihr zu verdanken, daß ich überhaupt noch lebte. Und trotzdem wurde das Gefühl der Bedrohung, das ich bei ihrem Anblick empfand, mit jeder Sekunde stärker.
    »Was Sie hier sehen, Mister Craven«, sagte Ayres, »ist das Werk Ihres Vaters. Der Fluch, den er auf die Bewohner dieser Ortschaft legte und der sie seit zweihundert Jahren verfolgt.«
    »Sie meinen, dieses... dieses Kind ist nicht das erste?« fragte ich stockend, obwohl ich die Antwort längst wußte.
    Temples lachte schrill, aber Ayres brachte ihn mit einem scharfen Blick zum Verstummen. »Nein«, sagte sie. »Sehen Sie sich doch um. Sehen Sie sich Lowry an, oder Curd, oder« – sie zögerte unmerklich, hob dann mit einem Ruck die Hand und deutete auf den Wolfmann – »oder Wulf. Alle anderen hier. Sie haben sie gesehen, als Sie im Gasthaus waren.«
    Ich nickte, brachte aber keinen Ton hervor. In meiner Kehle saß plötzlich ein würgender, bitterer Kloß. O ja – ich hatte sie gesehen. Und plötzlich verstand ich ihren Haß.
    »Aber wieso?« murmelte ich schließlich. »Was ist geschehen? Warum sollte er so etwas tun?«
    »Nicht sollte«, unterbrach mich Ayres, und mit einem Male klang ihre Stimme ganz kalt. »Er hat es getan, Mister Craven. Er kam hierher, eines Morgens im Jahre 1694, als er auf dem Wege nach Arkham war. Er wurde verfolgt. Von Menschen, deren Namen wir nicht kennen und über die wir nichts wissen; außer, daß sie Hexer wie Andara waren, vielleicht noch mächtiger als er. Er kam zu uns und suchte Unterschlupf und ein Versteck, und die Leute hier gewährten ihm beides. Aber seine Feinde entdeckten ihn bald, und es kam zum Kampf. Viele Bewohner von Innsmouth wurden getötet, und schließlich mußte Andara fliehen. Aber bevor er ging, sprach er einen Fluch aus, denn er glaubte, von uns verraten worden zu sein.« Sie schwieg. Ihr Gesicht zuckte, als bereite es ihr körperliche Schmerzen, über die Vergangenheit zu reden, und ich sah, wie sich ihre dürren Hände fest um die Tischplatte krampften.
    »Wir haben ihn nicht verraten, Mister Craven«, fuhr sie schließlich fort. »Niemand hier. Die Menschen, die damals hier lebten, waren einfache Menschen, aber sie waren ehrlich und standen zu ihrem Wort, ihn zu verstecken und ihm zu helfen, selbst, als ihr eigenes Leben dabei in Gefahr geriet.«
    Ihre Stimme wurde bitter. »Doch ihre Ehrlichkeit wurde ihnen schlecht gedankt. Andara floh, aber sein Fluch blieb zurück, und seither ist jedes männliche Kind, das in Innsmouth geboren wird, ein Krüppel. Jedes, verstehen Sie? Manche mehr, manche weniger. Manche haben nur eine leichte Behinderung; einen Buckel, einen Klumpfuß oder eine Hasenscharte. Manche sind körperlich normal, aber ohne Hirn, geistlose Idioten, die wie Tiere vor sich hinvegetieren. Andere...« Sie sprach nicht weiter, aber ihr Blick suchte Wulfs Gesicht, und ich spürte einen eisigen, lähmenden Schauer.
    »Sie meinen, er... er ist auch...«, stammelte ich.
    Ayres nickte. »Er hätte ein Mensch werden sollen, Craven«, sagte sie. »Aber der Fluch Ihres Vaters hat ihn zu einem Ungeheuer gemacht. Nur ich bin in der Lage, mit ihm zu reden und ihn in Schach zu halten. Ich und Curd. Ohne uns wäre er hilflos wie ein Tier. Wenn er Innsmouth verließe, würde man ihn töten.«
    »Und das alles hat Andara getan!« fügte Temples gepreßt hinzu. »Und nun sagen Sie noch einmal, daß es Ihnen leid tut, Craven.« Er beugte sich vor, packte mich beim Kragen und schüttelte drohend die Faust vor meinem Gesicht. »Sagen Sie es, und ich schlage Ihnen die Zähne ein!« brüllte er. »Sagen Sie es!«
    Ich blickte ihn an, schwieg aber, und ich machte auch keinen Versuch, mich zu wehren oder seine Hand abzustreifen, und nach einer Weile senkte er den Blick, ließ mich los und trat wieder zurück. Ich seufzte, fuhr mir verstört mit den Händen durch das Gesicht und wandte mich wieder an die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher