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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe
Autoren: Ralf Isau
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Jahr alt«, sagte er mit mühsam beherrschter Stimme. Es war sonst nicht seine Art, sich in anderer Leute Angelegenheiten einzumischen, z u mal wenn diese ihn um mehr als einen Kopf überragten und wohl auch das Doppelte seines Kampfgewichts auf die Waage brachten.
    Der Wüterich trat wie zum Trotz noch einmal gegen den Reifen der Limousine und baute sich sodann vor dem Fremdling auf. Nachdem er die Arme über der Brust ve r schränkt hatte, grunzte er: »Was verstehst du davon, he? Scher dich weg!«
    Der junge Mann wich nicht von der Stelle. Im Gegenteil schob sich sein spitzes Kinn sogar aufmüpfig dem Hünen entgegen. »Wenn Sie den Wagen weiter schlagen, treten und beleidigen, wird er erst recht nicht anspringen.«
    Der Chauffeur hieb mit der flachen Hand auf die Moto r haube, dass es nur so krachte. Danach strich er sich mit dem Zeigefinger über den dunklen Schnurrbart, kniff ein Auge zu und erwiderte grinsend: »Ich kann diesen störrischen Esel aus Blech so viel treten und beschimpfen, wie ich will, Bürschchen. Außerdem, woher willst du wissen, dass die dumme Kiste bockt? Bist du nicht gerade erst vom Bah n steig rübergekommen?«
    »Ich weiß es eben.«
    »Bist wohl nicht von hier. Deine Sprache ist so komisch.«
    »Ich komme aus Österreich.«
    »Ein Reichsdeutscher? Dafür ist dein Italienisch alle r dings ganz passabel.«
    »Danke.«
    »Du bist nicht zufällig Mechaniker? Kennst du dich mit solchen Wagen aus?«
    Der Fremde ging um Chauffeur und Fahrzeugfront herum, immer noch beobachtet von einigen Passanten. Er beugte sich leicht vor und ließ seine Handfläche dicht über die Haube entlangschweben, so als wolle er die Wärme des Motors fühlen. Aus den Augenwinkeln spähte er in das Innere der Limousine, konnte aber nicht viel erkennen, weil gerade die Wolken aufgerissen waren und sich die Sonne in den Scheiben spiegelte. Er glaubte im Fond eine zierliche Gestalt auszumachen. Ohne den Blick vom Wagen zu ne h men, entgegnete er: »Zugegeben, Automobile können recht eigensinnig sein. Manche sind unheimliche Aufschneider: Sie blenden mit poliertem Holz und Chrom, obwohl sie doch lärmen und ganz fürchterlich stinken. Euer übermüt i ger junger Lancia Astura hier macht da keine Ausnahme. Dreiliter-V8-Motor – das nenne ich ein starkes Herz! Ba u jahr ‘37, nicht wahr? Und eine feine Hülle hat man ihm auch angepasst: Die Karosserie wurde von Mayfair Carri a ge geschneidert, nehme ich an.«
    Der uniformierte Choleriker bekam den Mund nicht mehr zu. Offenbar hatte ihn der junge Mann mit seinem profu n den Wissen über Luxusautomobile überrascht. Schließlich fand der Chauffeur dann – hörbar gemäßigt – doch seine Sprache wieder. »Verstehst wohl tatsächlich was davon. Meine Herrin würde es sehr zu schätzen wissen, wenn …« Er hielt inne, als sich unversehens der hintere Wagenschlag öffnete.
    Auch der Fremde wandte sich um. Zuerst sah er nur ein blasses Gesicht hinter dem Fenster, hiernach einen über der Tür auftauchenden Kopf, und dann verschlug es ihm die Sprache. Sein Herz begann heftig zu schlagen. Die vom Chauffeur mehrmals erwähnte »Herrin« war keine Achtung gebietende Signora in fortgeschrittenem Alter, sondern eine Signorina von höchstens achtzehn Jahren.
    Mit dem Antlitz eines Engels.
    Dieser Gedanke vernebelte explosionsartig das Bewuss t sein des jungen Mannes. Von nun an befand er sich in einer Art Trancezustand, in dem es ihm völlig unmöglich war, sie nicht anzusehen. Ihr Gesicht erschien ihm geradezu überi r disch. Einige schwarze Strähnen ragten ihr, als wollten sie Zweifel am Bild der makellosen Blässe wecken, tief in die Stirn. Aber dieser Kontrast machte das Mädchen in den Augen des jungen Mannes nur umso schöner. Während er noch den Umstand bedauerte, nicht mehr von ihrem wu n derbaren, leider unter einem eng anliegenden Käppi grö ß tenteils verborgenen Haar zu sehen, reckte sie sich eher keck als damenhaft hinter der offenen Tür. Sie hatte sich auf das Trittbrett der Limousine gestellt, die Unterarme auf die Tür gestützt und das Kinn auf die zarten weißen Hände gelegt. Für einen atemberaubenden Moment betrachtete sie den Fremden aus ihren funkelnden dunklen Augen. Unter ihrem strengen Blick fühlte sich der junge Mann wie ein im Schaukasten mit einer Nadel fixierter Schmetterling. Es fiel ihm schwer, nicht auf ihre Brüste zu starren, die sich an dem Fenster drückten.
    Ohne den so gefangenen Wanderfalter freizugeben, rief sie: »Uberto, wie lange
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