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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe
Autoren: Ralf Isau
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Vorausgesetzt, ich bekomme keinen Stubenarrest. Gute Nacht, Bruno.«
    Der Sohn des Kunstmalers entbot seinem Freund einen zackigen Gruß, der einem Brigadegeneral nicht schlecht zu Gesicht gestanden hätte, und entfernte sich rasch in Ric h tung Piazza Battisti, wo er mit seinen Eltern direkt gege n über der Chiesa collegiata Santi Giovanni Battista ed E vangelista – der »Stiftskirche der Heiligen Johannes des Täufers und des Evangelisten« – wohnte. Nachdem Bruno in die Via del Galliardo verschwunden war, stieg Nico die zwei Stufen zum Eingang empor und legte seine Hand auf eine kleine Messingkapsel, nur wenig länger als sein Mitte l finger, die schräg am rechten Türpfosten hing. Ihr oberes Ende zeigte nach innen, das untere nach außen. Sie enthielt die Mesusa , einen kleinen zusammengerollten Pergamen t streifen, auf dem sich in zweiundzwanzig Zeilen zwei Textpassagen aus dem Dewarim, dem fünften Buch der Thora, befanden. Die Worte mahnten jeden Gläubigen zur Liebe und zum Gehorsam gegenüber dem Ewigen und ve r sprachen dem Folgsamen Segen, dem Abtrünnigen Fluch.
    »Möge Gott mein Hinausgehen und mein Hineingehen behüten von nun und für immer«, murmelte Nico, obwohl er ernste Zweifel hegte, ob das Gebet ihn vor einer Z u rechtweisung des Vaters schützen konnte. Er atmete noch einmal tief durch. Dann drückte er, äußerst behutsam, die Klinke der Haustür nieder.
    Aus der Werkstatt fiel ein gelber Lichtschimmer in den unbeleuchteten schmalen Flur. Der Junge hörte gedämpfte Stimmen und wunderte sich. War das ein Kunde? So spät? Das Wochenende eignete sich nicht besonders zur Abwic k lung von Geschäften zwischen strenggläubigen Christen und Juden. Wenn am Samstagabend bei Einsetzen der Dämmerung der Schabbat endete, blieb nur wenig Zeit bis zum Beginn der heiligen Sonntagsruhe. Emanuele dei Rossi neigte zwar im persönlichen Bereich zu einer eher großz ü gigen Auslegung der strengen Regeln jüdischen Glauben s lebens, aber weil die Leute niemandem ihre kostbaren U h ren anvertrauen mochten, der auch nur im Geringsten den Eindruck von Unredlichkeit erweckte, bemühte er sich w e nigstens um den Anschein eines frommen Mannes. Selbiges ließ sich wohl, wenngleich aus anderen Gründen, auch von Manzini sagen. Ja, es war unzweifelhaft Don Massimilianos Stimme, die da aus der Werkstatt drang, untermalt vom gleichförmigen Ticken mehrer Wand- und Standuhren.
    Eben noch hatte sich Nico, die Gunst der schützenden G e räuschkulisse nutzend, die Stiege hinauf in sein Zimmer schleichen wollen, doch nun entfachte die Gegenwart des hohen Besuchers seine Neugier. Die Tür zum Arbeitsraum stand etwa zwei Handspannen weit auf. Nico zog sich an die gegenüber liegende Wand zurück. Eine Diele knarrte verräterisch. Er hielt den Atem an. Auch der Uhrmacher und sein Kunde verfielen in Schweigen. Hatten sie den Lauscher in der Dunkelheit gehört? Nico spähte mit ang e haltenem Atem in das Zimmer.
    Die beiden Männer standen sich gegenüber, höchstens e i nen Schritt voneinander entfernt. Auf dem schmalen G e sicht des Uhrmachers lag ein müdes, aber zufriedenes L ä cheln. Endlich durfte er sein Werk präsentieren, in das er mehr Zeit und Lebenskraft investiert hatte als in jede andere Uhr. »Fertig und übergeben am Samstag, den 2. April 1932 um 20.30 Uhr«, würde er, wie es seine Gewohnheit war, mit rotem Stift unter dem vereinbarten Abgabetermin ins Auftragsbuch schreiben, vermutlich mit einem dicken Kringel drum herum. Wie lange hatte er diesem Moment entgegengefiebert! Endlich durfte er sich an der Bewund e rung seines Kunden satt trinken, wie ein Dirigent am A p plaus des begeisterten Publikums.
    Auf schwarzem Samt gebettet, lag die Uhr glitzernd wie ein am Nachthimmel funkelnder Stern in einer Kiste aus poliertem Ahornholz. Diese wiederum ruhte in Manzinis prankenartigen Händen, und der hohe Herr wirkte dabei auf eine komische Weise unbeholfen, fast wie ein Vater, der zum ersten Mal sein neugeborenes Kind im Arm hält. Sein schwarzer Schnurrbart zuckte nervös. Don Massimiliano war eine stattliche Erscheinung, die gewöhnlich durch s i cheres Auftreten überzeugte. Damit überspielte er geschickt einige körperliche Defizite, die zumeist auf das Konto se i ner enormen Masse gingen. Sein rundes Vollmondgesicht und die fleischige, an ihrem dicken Ende wie ein Kinderp o po gespaltene Nase gaukelten Gutmütigkeit vor, was ihm bisweilen zum Vorteil gereichte. Er kleidete sich stets el e gant; auch für
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