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Der Heilige Krieg

Der Heilige Krieg

Titel: Der Heilige Krieg
Autoren: Guido Knopp
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Kampfhandlungen beteiligt. Während das christliche Heer, das von dem fränkischen Hausmeier Karl Martell angeführt wurde, vor allem aus schwer bewaffneten Fußsoldaten bestand, verfügten die Muslime unter dem Gouverneur von Andalusien, Abd ar-Rahman ibn Abdallâh al-Ghafiqi, auch über berittene Bogenschützen.
    Über den genauen Verlauf der Kämpfe gibt es nur wenige detaillierte Berichte – ein Umstand, der vermuten lässt, dass der Schlacht von ihren Zeitgenossen keine besondere Bedeutung beigemessen wurde. Der Ausgang der Auseinandersetzung allerdings war immer bekannt: Abd ar-Rahman kam bei der Schlacht ums Leben, und seine führerlosen Truppen traten im Schutz der einbrechenden Nacht auf den 26. Oktober den Rückzug an. Der »Angriff auf Europa«, zu dem der muslimische Vorstoß
in späteren Jahrhunderten stilisiert werden sollte, wurde zurückgeschlagen.
    Bild 22
    Auch Carl von Steubens Historiengemälde »Schlacht von Poitiers« (1837) stilisiert Karl Martell zum Retter des Christentums.
    Das Urteil der deutschen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts ist in dieser Frage eindeutig: Sie sah in dem Ausgang der Schlacht von Tours und Poitiers einen Wendepunkt der Geschichte. Für Historiker wie Friedrich von Schlegel oder Leopold von Ranke stand im Spätsommer des Jahres 732 nicht weniger als das Schicksal des christlichen Europa auf dem Spiel. Geprägt waren die Auffassungen der gelehrten Geschichtsschreiber durch das Werk des britischen Historikers Edward Gibbon. Als der ehemalige Oxford-Schüler 1776 seine mehrbändige Abhandlung über den Verfall und Untergang des Römischen Reiches veröffentlichte, enthielt
es auch eine Passage, die das Schicksal Europas für den Fall einer Niederlage der Christen facettenreich ausmalte:
    Bild 1
    Karls Beiname Martell (marcellus = der Hammer) weist auf die Härte des Hausmeiers gegenüber seinen Gegnern hin. Lithografie von Victor Adam, 1860.
    »Ihre Siege hatten die Sarazenen bereits über 1800 Kilometer von Gibraltar bis an die Ufer der Loire getragen. Würde es ihnen gelingen, diesen Erfolg zu wiederholen, stünden die Muslime an den Grenzen Polens und im schottischen Hochland. Der Rhein hätte sich für sie genauso wenig als unpassierbar erwiesen wie der Nil oder der Euphrat. Ohne nennenswerten Widerstand hätten die arabischen Flotten die Mündung der Themse erreicht. Vielleicht stünde heute die Auslegung des Korans auf dem Lehrplan der Schulen von Oxford, und ihre Absolventen erläuterten einem beschnittenen Volk die Heiligkeit und Wahrheit der Offenbarungen Mohammeds.«
    »Kaum hatten die Araber die Eroberung von Spanien vollendet, so trachteten sie auch nach Frankreich und den dortigen westgotischen und burgundischen Ländern. Aber hier wurde ihren Fortschritten ein Ziel gesetzt, durch den großen Sieg des fränkischen Helden Martell, zwischen Tours und Poitiers, über den Abdorrhaman, der in der Schlacht mit der Blüthe seines Heeres fiel, 20 Jahre nach der Eroberung von Spanien, 110 Jahre nach der mahomedanischen Anfangsepoche; und ward die abendländische Christenheit also von der drohenden Gefahr des völkerverwüstenden Islam befreit und durch Karl Martell errettet.«
    Friedrich von Schlegel: Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte, 1828
    Dafür, dass er solche Entwicklungen durch seinen Sieg bei Tours und Poitiers verhindert hatte, lobte Gibbon Karl Martell als »Retter der Christenheit«. Allerdings wird die Einschätzung des Briten von der modernen Geschichtsschreibung nur sehr eingeschränkt geteilt. Diese sieht in dem Vorstoß nach Nordeuropa vor allem eine Militäraktion, die der Niederschlagung eines innermuslimischen Aufstands in der Garnison von Narbonne galt. Nach dem schnellen Erfolg gegen die revoltierenden Berber nutzte der Gouverneur von Andalusien die Gelegenheit für eine sogenannte »razzia«, einen Beutezug. Diese überfallartigen Vorstöße auf nichtmuslimische Gebiete waren nicht erst seit der Eroberung Spaniens durch die Mauren gang und gäbe.
    Saisonaler Beutezug oder systematischer Vorstoß mit dem Ziel einer Eroberung? Die Deutung der Schlacht von Tours und Poitiers ist umstritten. Die Motive, die Abd ar-Rahman Mitte 732 zu seinem Angriff bewegten, lassen sich nur ansatzweise rekonstruieren. Und dass der Kriegszug Teil einer Strategie war, die am Hofe des Kalifen in Damaskus generalstabsmäßig geplant worden war, ist mehr als unwahrscheinlich. Fakt ist: Die muslimische Gefahr war nach der Schlacht von Tours und Poitiers
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