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Der Heiler

Der Heiler

Titel: Der Heiler
Autoren: Antti Tuomainen
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in der Ferne, tief im Wald, kreischte eine Motorsäge, oder vielleicht war es auch das Geräusch eines Mopeds. So weit weg, dass es für mich keinen Nutzen hatte. Ich musste unbedingt das Gespräch in Gang halten.
    Â»Warum?«, fragte ich.
    Â»Was warum?«
    Â»Ganz generell«, sagte ich und richtete meinen Blick wieder auf den Bereich um seine Augen, ohne etwas anderes zu sehen als schwarze Schatten. »Warum erzählst du es nicht? Und warum hast du unschuldige Menschen getötet?«
    Er zuckte mit den Schultern. So gleichgültig, als ob es um eine Essensbestellung ginge.
    Â»Das Ende ist gekommen«, sagte er leichthin. »Spielt es denn noch eine Rolle, was man tut? Es gibt zwei Möglichkeiten: Ich kann mich als Barmann bis zum Ende in diesem elenden Kaff abplagen, oder ich kann in den Norden verschwinden und dort im eigenen Haus leben und meine Ruhe haben. Und wer von uns ist denn noch unschuldig? Da bin ich ganz einer Meinung mit Pasi. Wir haben alle seit Jahrzehnten gewusst, was kommen wird, und trotzdem hat niemand etwas dagegen unternommen.«
    Â»Ziemlich viele haben es versucht«, sagte ich und spürte, dass inzwischen auch meine Lippen zitterten.
    Väntinen stöhnte genervt. In der Luft vor seinem Gesicht erschien eine kleine Dampfwolke, die sofort von den Regentropfen auf den Boden gedrückt wurde.
    Â»Tja«, sagte er vollkommen angeödet. »Wie auch immer, ich habe es eilig.«
    Er streckte die Hand mit der Waffe aus. Die Pistolenmündung wuchs vor mir, und ich dachte noch, dass dies das Letzte ist, was ich von der Welt sehe: ein kleines schwarzes Auge, das einmal zuschlägt und alles beendet.
    Der Schuss verschloss meine Ohren, ließ meinen Körper erbeben, und auch die Bäume schienen zu wanken. Väntinens Kapuze flog nach hinten. An seinem Kopf fehlte etwas, und ich begriff, dass es die Stirn war. Der Schuss war von rechts gekommen und hatte sie weggerissen. Väntinen kippte nach links, der stirnlose Kopf klatschte mit dem Gesicht nach unten in den nassen Sand.
    Hamid kam hinter den Bäumen hervor, wich den Zweigen und Wurzeln aus und sprang auf den Weg. Er sah anders aus als sonst. Sein Blick war finster, das kurze gelockte Haar glänzte wie Stahlwolle vom Regen, und auf dem mageren Gesicht zeichnete sich deutlicher als sonst das Zucken der Kiefermuskulatur ab. In seiner Hand steckte die Pistole aus meinem Rucksack. Ich blickte eine Weile auf sie nieder, dann auf Väntinen.
    Seine Hand hielt immer noch die Waffe. Der Lauf war jetzt voller Sand und Erde. Seitlich an seinem Kopf war ein weißer Knochen zu sehen, der vom Regen abgespült wurde. Ich sah Hamid an.
    Â»Ich war nicht immer Taxifahrer«, sagte er.

HEILIGABEND
    1 Ein feuerroter Adventsstern leuchtete in der dritten Etage des dunklen Wohnblocks, in einem Fenster fast genau in der Mitte. Es sah aus, als würde das Haus eine in seinem Inneren brennende Flamme behüten. Das Rauschen der Lüftung und das Trommeln des Regens auf die Karosserie waren die einzigen Geräusche, die ich wahrnahm, als meine Ohren wieder funktionierten.
    Hamid saß auf dem Fahrersitz, ohne ein Wort zu sagen. Auch meinen Dank hatte er schweigend entgegengenommen. Er starrte vor sich hin und wirkte, als könnte er jeden Moment etwas völlig Unerwartetes tun. Die Waffe hatte er ins Handschuhfach gesteckt. Ich wollte sie eigentlich zurückfordern, aber das erschien mir irgendwie überflüssig. Hamid verstand sie zu benutzen, das war deutlich geworden.
    Väntinens Auto hatte ich nach kurzer Suche gefunden. Ein Erdwall von etwa einem Meter Höhe trennte den Parkplatz vom Weg. Ich steckte Johannas Handy zum Aufladen an den Zigarettenanzünder und umfasste in meiner Jackentasche Väntinens Wagenschlüssel, dann stieg ich ohne ein Wort zu sagen aus.
    Der Wind war abgeflaut. Die frische Nachtluft roch sauber und herb. Väntinens schwarzer Wagen glänzte, als wäre er gerade gewaschen worden. Die Tropfen auf dem schwarzen Blech schimmerten wie Perlen. Ich setzte mich auf den Fahrersitz.
    Das Auto war innen ebenso sauber wie außen. Ich durchsuchte die Fächer an den Türen und den Aufbewahrungsraum zwischen den Sitzen, fand Putzleder, Arbeitshandschuhe und ein paar Münzen. Im Handschuhfach steckten nur die Wagenpapiere. Die kleine und enge Rückbank wirkte völlig unbenutzt. Der Fußraum war, außer unter dem Fahrersitz, sauber, so als wäre er nie
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