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Der grüne Strahl

Der grüne Strahl

Titel: Der grüne Strahl
Autoren: Jules Verne
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hernieder; der von der hohlen See draußen bewegte untere Theil der Wellen aber stürmte in dem Innenraume weiter mit dem Brausen eines Bergstromes, dessen Wehr plötzlich seiner Wucht nachgab. Erst ganz im Hintergrunde der Grotte brach sich das Meer als siedender Strudel an der Felsenwand.
    An welcher Stelle hätte Miß Campbell nun eine Zuflucht finden können, die nicht von den Wellen erreicht worden wäre? Das Kopfende der Grotte gerade war ihrem Anstürmen direct ausgesetzt, und beim Hinwogen ebenso wie beim Rückfließen mußte das Wasser die Gallerie in einer Weise überfluthen, daß Niemand sich darauf hätte halten können.
    Und doch versuchte man wieder sich gegen den Glauben zu wehren, daß das unerschrockene junge Mädchen überhaupt hier sei. Wie hätte sie in dieser Sackgasse dem Wogenschwall des wüthenden Meeres widerstehen können? Mußte nicht ihr verstümmelter Körper, vom Strudel gepackt, schon wieder nach außen geschleudert worden sein? Könnte sie nicht die Strömung bei der jetzt steigenden Fluth schon längs des Uferdammes und an den Riffen bei Clam Shell vorbeigeschwemmt haben?
    »Helena! Helena!«
    Immer und immer wieder riefen sie diesen Namen durch das tolle Getöse von Wind und Wellen.
    Kein Ruf antwortete ihnen und konnte ihnen antworten.
    »Nein, nein, sie ist nicht in dieser Höhle! wiederholten die Brüder Melvill in ihrer Verzweiflung.
    – Sie ist doch darin!« versicherte Olivier Sinclair.
    Wie zur Bekräftigung seiner Worte wies er da auf ein Stück Stoff, welches eben eine rückstauende Woge auf eine der Basaltstufen warf.
    Olivier Sinclair stürzte darauf zu.
    Es war der »Snod«, das schottische Band, welches Miß Campbell stets in den Haaren zu tragen pflegte. Konnte es nun noch einen Zweifel geben?
    Und doch, wenn dieses Band ihr entrissen werden konnte, war es dann möglich, daß Miß Campbell bei demselben furchtbaren Wellenschlage nicht gleichzeitig an die Felsenwand gedrückt und schwer verletzt worden wäre?
    »Ich werde bald Gewißheit haben!« rief Olivier Sinclair.
    Unter Benützung eines Moments, wo das rückfließende Wasser die Gallerie halb frei ließ, ergriff er die erste lange Eisenstange des Geländers; da stürmte aber schon eine neue, riesenhafte Woge auf dieselbe Stelle ein und drückte ihn auf den Treppenabsatz nieder.
    Wenn Patridge sich nicht mit eigener Lebensgefahr auf ihn geworfen und den jungen Mann zurückgehalten hätte, so wäre Olivier Sinclair unbedingt bis zur letzten Stufe hinabgeglitten und das Meer hätte ihn mit fortgerissen, ohne daß es möglich gewesen wäre, ihm Hilfe zu bringen.
    Olivier Sinclair hatte sich erhoben, sein Entschluß, in die Grotte einzudringen, war keineswegs erschüttert.
    »Miß Campbell ist da drinnen, – wiederholte er, da ihr Körper nicht ebenso herausgetragen worden ist, wie dieses Stückchen Band. Es ist also möglich daß sie in irgend welcher Wandvertiefung Schutz gefunden hat. Ihre Kräfte aber werden sie verlassen; sie wird nicht ausdauern können, bis wieder Ebbe eintritt. Wir müssen also zu ihr zu gelangen suchen!
    – Ich werde gehen! rief Patridge.
    »Nein!… Ich!« antwortete Olivier Sinclair.
    Er wollte ein äußerstes Mittel versuchen, zu Miß Campbell vorzudringen, und wenn dieses Mittel ihm auch nur sehr geringe Aussicht auf günstigen Erfolg versprach.
    »Warten Sie hier, meine Herren, sagte er zu den Brüdern Melvill. In fünf Minuten sind wir wieder zurück. Kommen Sie, Patridge!«
    Die beiden Onkels blieben unter dem Schutze des hohen Ufers, nahe dem äußersten vorspringenden Winkel der Insel, an einer Stelle, welche das Meer nicht erreichen konnte, während Olivier Sinclair und Patridge raschen Schrittes nach Clam Shell zurückeilten.
    Es war jetzt um acht ein halb Uhr. Fünf Minuten später erschienen der junge Mann und der alte Diener wieder und schleppten längs des Uferrandes das kleine Boot der »Clorinda«, welches ihnen der Capitän John Olduck zurückgelassen hatte.
    Wollte Olivier Sinclair sich wirklich auf dem Wasserwege in diese Höhle wagen, da der Landweg ihm verschlossen war?
    Ja, er wollte es versuchen. Wohl setzte er sein Leben dabei auf’s Spiel; er wußte es, aber er zögerte deshalb nicht.
    Das Boot wurde, geschützt vor der Brandung, an den Fuß der Treppe, hinter eine der Basaltstufen geschafft.
    »Ich gehe mit Ihnen, erklärte Patridge.
    – Nein, Patridge, erwiderte Olivier Sinclair, nein! Wir dürfen dieses schwache Fahrzeug nicht unnützerweise überlasten. Wenn
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