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Der grüne Strahl

Der grüne Strahl

Titel: Der grüne Strahl
Autoren: Jules Verne
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dunkelblaue, Sib dagegen die kastanienbraune Farbe zu bevorzugen schien.
     
    Wenn der Eine die Tabaksdose hervorholte etc. (S. 10.)
     
    Wer hätte nicht mit diesen ehrenwerthen Gentlemen gern auf vertraulichem Fuße gestanden? Gewohnt, im Leben immer gleichen Schrittes zu gehen, machten sie einst gewiß auch Einer unsern dem Andern Halt, wenn ihnen das Stündlein der ewigen Ruhe schlug. Immerhin konnte man diese beiden letzten Pfeiler der Familie Melvill noch als recht solid bezeichnen. Sie hielten gewiß noch lange Zeit das alte Gebäude ihrer Rasse aufrecht, welche dem 14. Jahrhundert entstammte, der epischen Zeit eines Robert Bruce und eines Wallace, der Heldenepoche, in der Schottland noch mit England um seine Unabhängigkeit rang.
    Wenn Sam und Sib auch keine Gelegenheit hatten, für das Wohl des Vaterlandes zu kämpfen, wenn ihr minder bewegtes Leben unter dem Segen friedlicher Ruhe verlief, den ein behäbiges Vermögen verleiht, so darf man ihnen daraus weder einen Vorwurf machen, noch sie für entartet halten wollen. Sie setzten eben in ihrem Bestreben, Gutes zu wirken, die edlen Ueberlieferungen ihrer Vorfahren fort.
    Beide kerngesund, ohne daß sie sich den Vorwurf irgend welcher Unregelmäßigkeit der Lebensweise zu machen hatten, schienen bestimmt, hohe Jahre zu erreichen, ohne jemals, weder an Geist noch an Körper, zu altern.
     

    Ein junges Mädchen mit Rosen auf den Wangen wurde sichtbar. (S. 15.)
     
    Vielleicht hatten sie einen Fehler – wer könnte sich rühmen ohne einen solchen zu sein? – sie verbrämten ihre Unterhaltung gerne mit mannigfachen, dem berühmten Burgvogt von Abbotsford entlehnten Bildern und Citaten, und vorzüglich auch mit solchen aus den epischen Dichtungen Ossian’s, in welche sie geradezu vernarrt schienen. Doch wer könnte ihnen im Lande Fingal’s und Walter Scott’s daraus einen Vorwurf machen?
    Um ihr Porträt durch die letzte Retouche zu vollenden, müssen wir noch hinzufügen, daß sie starke Schnupfer waren. Jedermann weiß ja wohl auch, daß die Tabakshandlungen im Vereinigten Königreiche meist einen kräftigen, in Nationaltracht prangenden Schotten mit der Dose in der Hand als allgemein verständliches Symbol gebrauchen. Nun, die beiden Brüder Melvill hätten ganz gut dazu gepaßt, als Abzeichen auf den bemalten Zinkschildern zu figuriren, wie man solche an den Schutzdächern über den betreffenden Localen sieht. Sie schnupften eben so viel, wenn nicht gar noch etwas mehr, wie sonst Einer diesseits wie jenseits des Tweed. Dabei besaßen sie merkwürdiger Weise nur eine einzige Tabaksdose, natürlich ein sehr großes Exemplar. Dieses tragbare Stück Möbel wanderte stets abwechselnd in die Tasche des einen und des Andern und bildete damit gewissermaßen noch ein weiteres Band zwischen den Brüdern. Es versteht sich ganz von selbst, daß dieselben zu genau gleicher Zeit, etwa zehnmal in der Stunde, das Bedürfniß empfanden, sich an dem vortrefflichen, aus Frankreich bezogenen Pulver der
Herba nicotiana
zu erquicken. Wenn der Eine die Tabaksdose aus den Tiefen seines Rockes hervorholte, hatten eben Beide Appetit auf eine gute Prise, und Beide beglückwünschten sich, wenn sie niesten, mit einem: »Gott helfe uns!«
    Alles in Allem waren sie zwei richtige erwachsene Kinder, die Brüder Sam und Sib, in Bezug auf alle praktischen Lebensfragen; von industriellen, finanziellen und commerciellen Angelegenheiten verstanden sie absolut nichts, und gaben sich auch gar nicht das Ansehen, davon etwas zu verstehen; politisch zählten sie im Grunde vielleicht zu den Jacobiten, bewahrten ein ererbtes Vorurtheil gegen die Dynastie Hannover und gedachten noch immer des Letzten der Stuarts, ungefähr wie in Frankreich Jemand dem Letzten der Valois pietätvolles Andenken bewahren könnte; in Herzenssachen gar waren sie noch weniger Kenner.
    Und doch hatten die Brüder Melvill nur den einen Wunsch, klar zu sehen im Herzen der Miß Campbell, deren geheimste Gedanken zu errathen, diese, wenn nöthig, in bestimmter Richtung zu leiten, sie zu entwickeln, wenn das angezeigt erschien, und endlich sie an einen wackeren Mann ihrer (der Brüder) eigenen Wahl zu verheiraten, der gar nicht verfehlen könnte, das junge Mädchen glücklich zu machen.
    Wenn man ihnen glauben durfte – oder vielmehr, wenn man sie reden hörte – schien es, als hätten sie jenen braven Mann schon gefunden, dem jene beneidenswerthe Aufgabe zufallen sollte.
    »Helene ist also ausgegangen, Bruder Sib?
    – Ja,
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