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Der grüne Strahl

Der grüne Strahl

Titel: Der grüne Strahl
Autoren: Jules Verne
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wäre.
    – Hat er, Bruder Sam, nicht gewissenmaßen vorahnend unsere Helena geschildert, wenn er sagt: »Sie verläßt das schützende Dach, wo sie im Geheimen geseufzt, und erscheint in ihrer vollen Schönheit, wie die Mondscheibe am Rande einer Wolke des Orients…
    Und der Glorienschein ihrer Reize umrahmt sie gleich Lichtstrahlen, Bruder Sib, während der sanfte Schall ihrer leichten Schritte wie Musik an das Ohr schlägt!«
    Glücklicher Weise sanken die beiden Brüder, ihre Citationen unterbrechend, aus dem etwas nebelumhüllten Himmel der Barden wieder in das Bereich der Wirklichkeit hernieder.
    »Jedenfalls, meinte der Eine, wenn Helena unserm jungen Gelehrten gefällt, kann es gar nicht fehlen, daß er auch ihren Beifall findet…
    – Und wenn sie ihrerseits, Bruder Sam, ihm noch nicht alle die Aufmerksamkeit erwiesen hat, welche die großen Eigenschaften verdienen, mit denen er von der Hand der Mutter Natur so reichlich ausgestattet ist…
    – So kommt das, Bruder Sib, einzig und allein daher, daß wir ihr noch nicht gesagt haben, es sei Zeit für sie, in den Stand der heiligen Ehe zu treten.
    – An dem Tage aber, an dem wir ihre Gedanken diesem Ziele zugelenkt haben werden, wird sie, selbst angenommen einen gewissen Widerwillen ihrerseits, nicht gegen den erwählten Gatten, doch gegen die Ehe im Allgemeinen…
    – Gar nicht zögern, uns mit einem freudigen »Ja« zu antworten, Bruder Sam…
    – Ganz wie der vortreffliche Benedict, Bruder Sib, der, nachdem er sich lange gesträubt…
    – Doch bei der Lösung des Knotens in »Viel Lärm um nichts« die Beatrix heiratet.«
    In dieser Weise legten sich die beiden Oheime der Miß Campbell die zu erwartenden Dinge zurecht, und der auf ein allgemeines Wohlgefallen hinauslaufende Ausgang ihrer Combination erschien ihnen gleich naturgemäß, wie jener in der Komödie Shakespeare’s.
    In voller Uebereinstimmung waren sie aufgestanden und sahen einander mit seinem, befriedigtem Lächeln an, rieben sich auch, von derselben Empfindung inspirirt, die Hände. Es war einmal eine abgemachte Sache, diese Heirat. Welche Schwierigkeit hätte sich derselben entgegenstellen können? Der junge Mann hatte schon verblümt um das junge Mädchen angehalten, und diese würde darauf eine Antwort ertheilen, um deren Inhalt sie sich keinerlei Sorge zu machen brauchten. Alle Vorbedingungen schienen ja erfüllt – es konnte sich höchstens noch darum handeln, etwa den Termin der Hochzeit festzusetzen.
    Das sollte und mußte eine schöne, erhebende Feier werden, die in Glasgow vor sich gehen sollte; hier aber, um diesen Nebenumstand wenigstens zu erwähnen, nicht in der Kathedrale Saint Mungo, der einzigen Kirche Schottlands, welche, mit Saint Magus auf den Orcaden, im Zeitalter der Reformation unangetastet geblieben war. Nein! Diese war in ihrer Construction zu massig und deshalb etwas zu düster für eine Trauung, welche, nach der Vorstellung der Brüder Melvill, einer vollen Blüthenentfaltung frischer Jugend, einem Strahlenkranze von Liebe gleichen mußte Sie gedachten dazu eher Saint Andrew oder Saint Enoch oder sogar die Kirche Saint George zu wählen, welche sich im vornehmsten Theile der Stadt erhebt.
    Bruder Sam und Bruder Sib fuhren fort, ihre Projecte in einer Form zu entwickeln, welche mehr an einen Monolog, denn an einen Dialog erinnerte, weil ihr Gespräch ausnahmslos dieselbe Reihenfolge in ganz gleicher Weise ausgedrückter Ideen zutage förderte. So plaudernd, betrachteten sie durch die rautenförmige Oeffnung des Fensters die schönen Bäume des Parkes, unter denen Miß Campbell eben lustwandelte, die herrlich grünen Rabatten, welche plätschernde Bäche umrahmten, den von einem fast phosphorescirenden seinen Dunste bedeckten Himmel, der den Hochlanden des inneren Schottlands eigenthümlich zu sein scheint.
    Sie sahen sich gar nicht an; das wäre unnütz gewesen; von Zeit zu Zeit aber faßten sie sich, wie getrieben durch einen zärtlichen Instinct, am Arme und drückten einander die Hände, als wollten sie durch Schließung einer Art magnetischen Stromes die Ueberleitung ihrer Gedanken gegenseitig erleichtern.
    O, das sollte herrlich werden! Alles müßte den Stempel edler Vornehmheit tragen, die armen Leute von der West-George-Street, wenn es dergleichen gab – doch wo fänden sich Arme nicht? – würden natürlich auch nicht vergessen werden bei dem frohen Feste. Wenn Miß Campbell unerwarteter Weise für größere Einfachheit der Ceremonie sein und ihre
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