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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
Autoren: Gottfried Keller
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mußte, bis alle vorbei waren. Schwarz gekleidet, mit gebeugten Häuptern, die tränenden Augen in weiße Taschentücher gedrückt, wallten die zarten Gestalten paarweise langsam vorüber, die keuschen Lippen noch feucht von dem Weine, welchen man ihnen als Blut zu trinken, in der Kehle noch das Brot, welches man ihnen als Menschenfleisch zu essen gegeben hatte. Diese dunkle Mädchenschar mit dem rotnasigen Pfarrer an der Spitze kam Heinrich vor wie ein Flug gefangener Nachtigallen aus dem Morgenlande, welche ein betrunkener Vogelhändler zum Verkauf umherführt. Der Zug schlängelte sich aber auch traumhaft genug unter dem klaren Himmel und durch Land und Leute hin.
    Wenn wir solche Dinge in der Weise schildern, wie sie sich dem jungen Wanderer eindrückten, so wird man in derselben nicht die rücksichtslose Art der Jugend verkennen, welche mit einer gewissen, übrigens gesunden Unbestechlichkeit zwischen dem scheinbaren und dem wirklich Anstößigen durchaus keinen Unterschied zugeben will. Da religiöse Gegenstände vor allem nur Sache des Herzens sind, so bringt dieses in seiner aufwachenden Blütezeit das Recht zur Geltung, die Überlieferungen mit seinen angebornen reinen Trieben in Einklang zu setzen. Wer erinnert sich nicht jener glücklichen Tage, wo man, im geräuschvollen schwindelnden Kreisen dieses Rundes erwachend, mit den neuen feinen Fühlhörnern der jungen Seele um sich tastend, von keiner Autorität Notiz nehmen und den Maßstab seines unverdorbenen Gefühles auch an das Ehrwürdigste und Höchste legen will?
    Wer will wohl bestreiten, daß vielleicht, wenn das Ursprüngliche und also auch wohl Göttliche, das in der jungen Menschenseele liegt, nicht in das hanfene, dürrgeflochtene Netz eines Katechismus, heiße er, wie er wolle, abgefangen würde, die schneidende blutige Kritik des Mannesalters und die wildesten Kämpfe verhütet würden? Heinrich hegte eine besondere Pietät gerade für die Begriffe Brot und Wein, das Brot schien ihm so sehr die ewig unveränderte unterste Grundlage aller Erden-und Menschheitsgeschichten, der Wein aber die edelste Gabe der geistdurchdrungenen lebenswarmen Natur zu sein, daß nichts ihn so geeignet dünkte zur Feier eines gemeinsamen symbolischen Mahles der Liebe als edles weißes Weizenbrot und reiner goldener Wein. Daher war es ihm auch anstößig, diese wichtigen, aber einfachen und reinlichen Begriffe mit einer heidnisch-mystischen und, wie ihm vorkam, widermenschlichen Mischung zu trüben. Auf das Historische des vorhandenen Sakramentes konnte er nun um so weniger Rücksicht nehmen, als ihm die theologischen Einsichten und Kenntnisse abgingen.
    Als die Sonne sich bereits zu neigen anfing, machte der Wagen an einem Dorfe wieder halt, damit die Pferde gewechselt werden konnten. Heinrich trat mit den andern Reisenden in das Gasthaus, um eine Erfrischung zu sich zu nehmen. Der eine wählte ein Glas Wein, der andere eine Schale Kaffee, der dritte verlangte schnell etwas Kräftiges zu essen, es ging geräuschvoll zu mit Genießen, Geldwechseln und Bezahlen; alle taten wichtig, zerstreut oder nur auf sich achtsam und liefen stumm aneinander vorbei in der Stube umher.
    Auch Heinrich, spreizte sich, ließ es sich schmecken und zum Überfluß noch eine schlechte Zigarre geben, welche er ungeschickt in Brand zu stecken suchte. Da gewahrte er in einem Winkel der Stube eine ärmliche Frau mit ihrem jungen Sohne, welcher ein großes Felleisen neben sich auf der Bank stehen hatte. Beide waren ihm als Nachbarsleute bekannt. Er grüßte sie und vernahm, daß auch dieser junge Bursche, welcher das Handwerk eines Malers und Lackierers erlernt hatte, heute die Reise in die Fremde antrat, daß seine Mutter, die Feiertage benutzend, lange vor Tagesanbruch sich mit ihm auf den Weg gemacht und sie so, die Fuß- und Feldwege aufsuchend, bis hierher gekommen seien, wo sie sich nun trennen wollten. Die gute Frau gedachte dann bis zur völligen Dunkelheit noch ein Stück Weges zurückzuwandern und bei bekannten Landleuten über Nacht zu bleiben. Sie tranken einen blassen dünnen Wein und aßen Brot und Käse dazu; doch war es eine Freude zu sehen, wie sorglich die Frau die »Gottesgabe« behandelte, ihrem Sohne zuschob und für sich fast nur die Krumen zusammenscharrte. Dazwischen schärfte sie ihm ein, wie er seinen Meistern gehorchen, bescheiden und fleißig sein und keine Händel suchen sollte. Dann mußte er seinen Geldbeutel nochmals hervorziehen; vier oder fünf neue große
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