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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
Autoren: Gottfried Keller
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gesehen haben. Kinder des neuweltlichen Westens, herrschen sie nun neben den Kindern des alten Ostens, den Rosen, wie sonst keine Blume. Freilich noch immer geben diese allein den süßen Duft und jenes kühlende Rosenwasser, welches krankgeweinte Augen erfrischt, und noch immer eignen sie sich am besten dazu, einen vollen Becher zu schmücken. Aber darin wetteifern die bunten Scharen Amerikas mit dem glühenden Rosenvolke des Morgenlandes, daß sie mit unverwüstlicher Lebenslust unser Herz bis an das Ende des Jahres begleiten und ihre samtenen Brüste öffnen, bis der kalte Schnee in sie fällt.
    Hell und aufgeweckt erschien das Dorf, durch welches die Reisenden fuhren, in vielen Erdgeschossen erblickte man die Abzeichen von Gewerben Uhrmachern, Kürschnern, sogar Goldschmieden, und von Krämereien, welche man sonst nur in den Städten findet; einige Häuser erschienen so herrisch, die Gärten davor so wohlgepflegt, daß man in den Besitzern mit Recht reiche Dorfmagnaten vermutete. Doch wenn auch der eine, gleich einem Deputierten der französischen Bourgeoisie, im eleganten Schlafrock, die Zigarre im Munde, aus dem Fenster schaute, so stand dafür der andere in bloßen weißen Hemdsärmeln auf der Hausflur, und seine braunen Hände verkündeten, ungeachtet des städtischen Hauses, den rüstigen Ackersmann, ja, vor einem seiner Fenster hing zum Durchlüften die Uniform eines gemeinen Soldaten, während aus der Dachluke seines Knechtes diejenige eines Unteroffiziers in der Frühlingsluft flaggte. Bei all dieser Stattlichkeit war nun aber das Schulhaus doch das schönste Gebäude im Dorfe, welches in der ganzen Gegend öfter der Fall war. Auf einem freien geebneten Platze ragte es mit hohen blinkenden Fenstern empor und verriet heitere geräumige Säle; von seiner Front schimmerte in kolossalen goldenen Buchstaben das Wort Schulhaus. Hier, auf dem sonnigen Vorplatze und auf der breiten steinernen Treppe, welche fast tempelartig den ganzen vordern Sockel bekleidete, mochte der Ort sein, welchen sonst die alten Dorflinden bezeichnen; denn eine Gruppe älterer und jüngerer Männer unterhielt sich hier behaglich, sie schienen zu politisieren; aber ihre Unterredung war um so ruhiger, bewußter und ernster, als sie vielleicht, dieselbe betätigend, noch am gleichen Tage einer wichtigen öffentlichen Pflichterfüllung beizuwohnen hatten. Die Physiognomien dieser Männer waren durchaus nicht national über einen Leisten geschlagen, auch war da nichts Pittoreskes, weder in Tracht noch in Haar-und Bartwuchs, zu bemerken; es herrschte jene Verschiedenheit und Individualität, wie sie durch die unbeschränkte persönliche Freiheit erzeugt wird, jene Freiheit, welche bei einer unerschütterlichen Strenge der Gesetze jedem sein Schicksal läßt und ihn zum Schmied seines eigenen Glückes macht. So erschienen hier die einen von rastloser Arbeit gebräunt und getrocknet, zäh und hart, andere in Energie und Gewandtheit aufblühend, andere wieder von Spekulation gefurcht. Alle aber waren äußerlich ruhig, ungebeugt und sahen kundig und auch ziemlich prozeßerfahren in die Welt.
    So übereinstimmend mit seinen rührigen Bewohnern nun das schöne Dorf dastand, um so fremdartiger ragte die Kirche aus ihm hervor. Dem Stile oder besser Nichtstile nach stammte sie aus dem achtzehnten Jahrhundert, ein ovales nüchternes Gebäude mit kreisrunden Fenstern, förmlichen Löchern, war nicht alt und nicht neu, weder der verbrauchte Baustoff noch die mageren geschmacklosen Verzierungen, sowenig als der gedankenlose Turm, taten die mindeste Wirkung; man ahnte schon von außen die langweiligen hölzernen Bankreihen und die kleinliche Gipsbekleidung des Innern, den unförmlich bauchigen Taufstein, das lächerliche braune Kanzelfaß; ohne Begeisterung gebaut und keine erweckend, verkündete das Gebäude den untröstlichen Schlendrian, mit welchem es gebraucht wurde. Es sah aus wie ein unnützes sonderbares Möbel in einem Hause, welches der Besitzer aber eigensinnig um keinen Preis veräußern will, weil er seit langen Jahren gewohnt ist, seinen Hut darauf zu stellen, wenn er nach Hause kehrt, oder, wenn man ein wenig artiger sein will, weil sein Firnis auf eine ihm angenehme Weise den Sonnenblick auffängt und auf den Stubenboden wirft.
    Aus diesem herzlos unschönen Gebäude nun bewegte sich ein langer Zug sechszehnjähriger Konfirmandinnen quer über die Straße, von einem dicken jovialen Pfarrherrn angeführt, so daß der Postwagen anhalten
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