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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf
Autoren: Raymond Chandler
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maschinengeschriebenes Protokoll, das seine Sekretärin im Nebenzimmer getippt hatte. Dann ging die Tür auf, und Eddie Mars trat ein, und ein ganz plötzliches Lächeln strahlte über sein Gesicht, als er Silberperückchen sah, und er sagte: »Hallo, Liebes«, und sie sah ihn nicht an und sagte kein Wort. Eddie Mars, frisch und fröhlich, in einem dunklen Geschäftsanzug, einem weißen Schal mit Fransen, der über seinem
    Tweedmantel hing. Dann waren alle weg, alle verschwunden aus dem Raum außer mir und Wilde, und Wilde sagte mit kalter, verärgerter Stimme: »Dies ist das letztemal, Marlowe.
    Noch soń Ding, und ich werf Sie den Löwen zum Fraß vor, egal, wemś das Herz bricht.«
    So war es, immer und immer wieder, während ich auf dem Bett lag und dem Streifen Sonne zusah, wie er über den Winkel der Wand glitt. Dann klingelte das Telefon, und es war Norris, Sternwoods Butler, mit seiner üblichen, überlegenen Stimme.
    »Mr. Marlowe? Ich habe vergebens in Ihrem Büro angerufen, deshalb nahm ich mir die Freiheit, es in Ihrer Wohnung zu versuchen.«
    »Ich war fast die ganze Nacht unterwegs«, sagte ich.
    »Deshalb war ich nicht drüben.«
    »Jawohl, Sir. Der General hätte Sie gern heute morgen gesehen, Mr. Marlowe, wenn es Ihnen keine Umstände macht.«
    »In einer halben Stunde ungefähr«, sagte ich. »Wie geht es ihm?«
    »Er liegt zu Bett, Sir, aber es geht ihm nicht schlecht.«
    »Dann warten Sie nur, bis er mich sieht«, sagte ich und legte auf.
    Ich rasierte mich, zog mich um und ging zur Tür. Dann kam ich wieder zurück und holte Carmens kleinen Perlmuttrevolver und steckte ihn in die Tasche. Das Sonnenlicht war so hell, daß es tanzte. Ich war in zwanzig Minuten bei den Sternwoods und fuhr unter dem Bogen vorm Nebeneingang vor. Es war elf Uhr fünfzehn. Die Vögel in den gestutzten Bäumen sangen nach dem Regen wie verrückt, die Rasenterrassen waren grün wie die irische Fahne, und der ganze Besitz sah aus, als sei er erst vor zehn Minuten angelegt worden. Ich klingelte. Es war fünf Tage her, daß ich zum erstenmal hier geklingelt hatte. Mir kam es wie ein ganzes Jahr vor.
    Ein Dienstmädchen öffnete und führte mich durch einen Seitengang zur Hauptha lle und ließ mich dort stehen mit dem Bescheid, daß Mr. Norris gleich herunterkommen würde. Die Haupthalle war unverändert. Vom Porträt über dem Kamin blickten dieselben heißen, schwarzen Augen, und der Ritter auf dem bunten Fensterglas mühte sich immer noch damit ab, das nackte Fräulein vom Baum loszudröseln.
    Nach wenigen Minuten tauchte Norris auf, und auch er hatte sich nicht verändert. Seine kalten, blauen Augen blickten gleichgültig wie immer, seine fahlrötliche Haut wirkte gesund und ausgeruht, und er bewegte sich, als sei er zwanzig Jahre jünger, als er wirklich war. Anscheinend spürte nur ich die Last der Jahre.
    Wir gingen die Fliesentreppe hinauf und dann weiter, aber nicht auf Vivians Zimmer zu, sondern in entgegengesetzter Richtung.
    Mit jedem Schritt schienen das Haus und die Stille in ihm größer zu werden. Wir erreichten eine massive, alte Tür, die so aussah, als käme sie aus einer Kirche. Norris öffnete leise und blickte hinein. Dann trat er beiseite, und ich ging an ihm vorbei und hinein und über schätzungsweise eine Viertelmeile Teppich hinweg auf ein riesiges Baldachinbett zu, das etwa dem glich, in dem Heinrich VIII. gestorben ist.
    General Sternwood war durch Kissen gestützt. Seine blutleeren Hände lagen gefaltet auf der Decke. Sie stachen grau von ihr ab. Seine schwarzen Augen waren noch immer voll Kampfgeist, und das übrige Gesicht wirkte nach wie vor wie das Gesicht eines Leichnams.
    »Setzen Sie sich, Mr. Marlowe.« Seine Stimme klang müde und etwas steif.
    Ich zog einen Stuhl dicht zu ihm heran und setzte mich. Alle Fenster waren fest verschlossen. Der Raum war um diese Stunde ohne Sonne. Markisen hielten jeden Glanz des Himmels draußen fern. Im Raum hing der schwache, süßliche Geruch hohen Alters.
    Er starrte mich eine lange Minute hindurch schweigend an.
    Er bewegte eine Hand, als wollte er sich selbst beweisen, daß er sie noch bewegen konnte, dann faltete er sie wieder über die andere. Er sagte leblos:
    »Ich habe Sie nicht gebeten, meinen Schwiegersohn zu suchen, Mr. Marlowe.«
    »Sie wollten es aber gern.«
    »Ich habe Sie nicht darum gebeten. Sie stellen recht viele Vermutungen an. Ich sage es gewöhnlich, wenn ich etwas wünsche.«
    Ich sagte nichts.
    »Sie haben Ihr Geld bekommen«,
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