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Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod
Autoren: Albert Camus
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Deck der Frachtdampfer führten. Oben angekommen, hoben sie sich plötzlich vor dem Himmel über der Bucht, zwischen Winden und Masten, silhouettenhaft ab. Mit nach oben gewendetem Blick blieben sie eine Sekunde lang geblendet stehen, wobei ihre Augen in den mit einer weißlichen Schicht aus Schweiß und Staub überzogenen Gesichtern funkelten, bevor sie sich blindlings in den Laderaum stürzten, aus dem ein Geruch wie von warmem Blut aufstieg. In der glühenden Luft heulte beständig eine SiRené.
     
    Auf der Planke machten die Männer plötzlich entgegen der Ordnung halt. Einer von ihnen war zwischen die Bohlen gefallen, die nahe genug beieinander lagen, um ihn festzuhalten. Doch sein Arm war hinter ihm eingeklemmt, zerquetscht durch das ungeheure Gewicht des Sackes, und er schrie vor Schmerz. In diesem Augenblick trat Patrice Mersault aus seinem Büro. Schon auf der Schwelle verschlug ihm die Sommerhitze den Atem. Er sog mit weit offenem Mund den Teergeruch ein, der ihn in der Kehle kratzte, und blieb bei den Hafenarbeitern stehen. Sie hatten den Verletzten befreit. Auf den Planken mitten im Staub hingestreckt, die Lippen bleich vor Schmerz, ließ er seinen gebrochenen Arm vom Ellbogen ab herunterhängen. Ein Knochensplitter war durch das Fleisch gedrungen, so daß eine häßliche Wunde entstand, aus der das Blut sickerte. Die Tropfen liefen am Arm entlang und fielen dann, einer nach dem andern, mit einem leichten Zischen auf die glühenden Steine, wo sie verdampften. Mersault starrte regungslos auf dieses Blut, als jemand seinen Arm ergriff. Es war Emmanuel, der «Kleine für die Botengänge». Er wies auf einen Lastwagen, der mit lautem Kettengerassel und Geknatter auf sie zukam. «Wollen wir?» Patrice begann zu laufen. Der Lastwagen fuhr an ihnen vorbei. Und sogleich rannten sie ihm nach, verschlungen von Lärm und Staub, keuchend und blind, gerade noch klar genug, um zu fühlen, wie sie durch diese wilde Lauferei hineingerissen wurden in einen betäubenden Rhythmus von Trossen und Maschinen, begleitet vom Tanz der Masten am Horizont und dem Schlingern der leprösen Schiffsrümpfe, an denen sie vorüberjagten. Auf seine Kraft und Gelenkigkeit vertrauend, packte Mersault als erster zu und schwang sich hinauf. Er half Emmanuel, bis auch er mit herunterhängenden Beinen auf dem Wagen saß, und in dem weißen, kreidigen Staub, dem gleißenden Dunst, der sich vom Himmel herabsenkte, der Sonne, der ungeheuren, phantastischen Dekoration des von Masten und schwarzen Kränen überquellenden Hafens brauste der Wagen im vollem Tempo dahin, über das holperige Pflaster des Quais, so daß Emmanuel und Mersault hin und her geschleudert wurden und in einem Taumel der Erregung lachten, bis ihnen die Luft ausging.
     
    In Belcourt angekommen, sprang Mersault zusammen mit dem singenden Emmanuel ab. Er sang laut und falsch. «Du mußt verstehen», sagte er immer zu Mersault, «es drängt einfach aus der Brust herauf. Wenn ich vergnügt bin. Wenn ich bade.» Das stimmte. Emmanuel sang, wenn er schwamm, und seine durch den Druck von außen her rauh gewordene und auf dem Meer kaum hörbare Stimme bestimmte dann den Takt der Bewegungen seiner kurzen muskulösen Arme. Sie bogen in die Rue de Lyon ein. Mersault schritt kräftig aus, er war sehr groß und wiegte seine breiten sehnigen Schultern. An der Art, wie er den Fuß auf den Gehsteig setzte, den er entlangzuschreiten gedachte, wie er mit einer gleitenden Hüftbewegung der Menge auswich, die ihn zuweilen umgab, spürte man, daß sein Körper überraschend jung und kraftvoll und durchaus imstande war, seinen Besitzer bis an die äußersten Grenzen physischer Lust zu tragen. Wenn er sich nicht bewegte, ließ er ihn auf der einen Hüfte ruhen, mit einer leicht affektierten Geschmeidigkeit wie jemand, der durch Sport den richtigen Stil gelernt hat. Seine Augen blitzten unter den Bögen der etwas starken Brauen, und während er mit Emmanuel sprach, zog er unter einer zuckenden Bewegung seiner geschwungenen lebhaften Lippen an seinem Kragen, um seinen Hals freizumachen. Sie traten in ihr Restaurant. Sie setzten sich und nahmen schweigend ihre Mahlzeit ein. Im Schatten war es kühl. Man hörte Fliegen summen, Teller klirren und Gespräche. Der Wirt, Céleste, kam auf sie zu. Groß und mit einem Schnurrbart geschmückt, kratzte er sich den Bauch unter seiner Schürze, die er dann wieder fallen ließ. «Es geht», sagte Emmanuel. «Wie es alten Leuten so geht.» Sie redeten. Céleste
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