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Der gläserne Schrein (German Edition)

Der gläserne Schrein (German Edition)

Titel: Der gläserne Schrein (German Edition)
Autoren: Petra Schier
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Goldschläger!»

2. KAPITEL
    Die Helfer an der Unglücksstelle blickten erstaunt auf Marysa. Einer der Mönche hielt sie fest, als sie zu dem Verunglückten laufen wollte.
    «Bleibt stehen, gute Frau!» Er schob sie energisch zurück an den Rand der Unfallstelle. «Es ist zu gefährlich für Euch. Was habt Ihr überhaupt hier zu suchen?»
    «Meister Goldschläger liegt dort.» Sie deutete auf die Stelle, an der Bardolfs blauer Mantel zu sehen war. «Er ist mein Stiefvater.»
    Der Augustiner hielt sie noch immer am Arm fest. «Marysa Markwardt, Ihr seid es. Bitte beruhigt Euch. Wir versuchen, die Verunglückten zu befreien.»
    Marysa zitterte mittlerweile am ganzen Leib. Dennoch nickte sie und winkte dann Tibor. «Geh und hol meine Mutter her. Beeile dich!»
    Tibor hatte ebenfalls mit Entsetzen auf die eingestürzten Gerüste gestarrt. Sie sah ihm an, dass er lieber bei der Bergung der Verletzten geholfen hätte, doch er gehorchte und verließ den Dom im Laufschritt.
    «Wir haben ihn!», rief einer der Kanoniker. «Ach du lieber Gott, holt sofort eine Bahre!»
    Zwei weitere Malergesellen stürzten davon, und Marysa beobachtete, wie Piet, einer von Bardolfs Gesellen, zwischen den zerborstenen Balken hervorgezogen wurde. Sein Hemd war blutdurchtränkt, denn eine Stange hatte sich ihm in die linke Seite gebohrt. Die Männer legten ihn unweit von Marysa vorsichtig auf dem Boden ab.
    «Tut etwas!», rief der Kanoniker, der sich besorgt über ihn beugte. «Holt einen Medicus oder einen Bader. Der Mann verblutet!»
    Marysa eilte nun auch zu dem Schwerverletzten und hockte sich neben ihn.
    «Was habt Ihr hier zu suchen, Weib?», herrschte der Kanoniker sie an, doch sie beachtete ihn gar nicht erst. Gewaltsam riss sie einen Streifen Stoff aus ihrem Unterkleid und presste es auf die klaffende Wunde. Dann hob sie den Kopf. «Heyn, lauf zu Magister Bertolff. Er muss sofort kommen!»
    Der Geselle fuhr sich mehrfach durch sein graues Haar, dann nickte er. «Ja, Frau Marysa, bin schon unterwegs.»
    «Vorsichtig», hörte Marysa den Augustiner rufen. «Hebt diesen Balken an! Könnt Ihr aufstehen, Meister Goldschläger?» Sie erhob sich und rannte auf Bardolf zu, der, von zwei Mönchen gestützt, vorsichtig zwischen den Gerüstteilen hindurchkletterte. Als sie erkannte, dass er aufrecht stehen konnte, berührte sie ihn erleichtert am Arm.
    «Meister Bardolf, gottlob, Ihr seid unverletzt!», rief sie. Vor Fremden sprach sie Ihren Stiefvater immer mit dem ihm zustehenden Titel an.
    Überrascht sah er sie an. «Marysa, was tust du denn hier?» Er schüttelte einen der Mönche ab, musste sich jedoch an der Wand abstützen. Offenbar konnte er mit seinem rechten Fuß nicht richtig auftreten. Und an seiner Stirn hatte er eine breite Schürfwunde.
    «Eine ordentliche Beule habt Ihr da, Herr Vater», sagte sie und beeilte sich, ihn zu stützen, als er seinen Gesellen erblickte und auf ihn zuhumpelte.
    «Piet!» Er beugte sich über den Bewusstlosen. «Das sieht übel aus.»
    In diesem Augenblick kamen die beiden Malergesellen mit zwei langen Brettern zurück. Eines davon legten sie neben Piet ab und hoben ihn dann darauf. «Wohin mit ihm?», fragte der eine.
    Bardolf machte ihnen Platz. «In mein Haus in der Kockerellstraße. Jemand muss den Medicus holen.»
    «Ich habe Heyn bereits nach ihm geschickt», sagte Marysa und blickte noch einmal zu der Unglücksstelle hinüber. Offenbar gab es außer Bardolf und Piet keine weiteren Opfer. Die Männer begannen bereits, die ersten Balken abzutransportieren. Dazu mussten sie den Seiteneingang öffnen, sodass etliche der Schaulustigen von draußen in die Chorhalle drängen konnten. Entsetzte Rufe wurden laut. Die Nachricht über den schrecklichen Unfall verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
    «Lass uns gehen. Wir müssen für Piet sorgen», sagte Bardolf und wollte loshumpeln.
    Marysa eilte an seine Seite und nahm ihn beim Arm. «Stützt Euch auf mich, Herr Vater. Draußen wird bestimmt Tibor …»
    «Bardolf!», schallte in diesem Moment Jolándas Stimme durch den Dom. «Mein Mann, wo ist er? Geht es ihm gut?» Marysas Mutter kam in die Chorhalle gerauscht. Als sie Bardolf sah, blieb sie stehen und schluchzte erleichtert. «Dem Herrn sei Dank, du lebst!» Ohne auf etwaige Verletzungen zu achten, stürzte sie sich in Bardolfs Arme.
***
    «Du solltest jetzt nach Hause gehen», sagte Jolánda leise und legte Marysa eine Hand auf die Schulter. Sie saßen in der Stube beisammen und warteten darauf, dass
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