Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gläserne Schrein (German Edition)

Der gläserne Schrein (German Edition)

Titel: Der gläserne Schrein (German Edition)
Autoren: Petra Schier
Vom Netzwerk:
dann lachte er leise. «Das hast du gehört? Nein, glücklicherweise war ich diesmal nicht die Ursache für das Gewitter.» Er wurde wieder ernst. «Hartwig war vorhin hier.»
    Marysa runzelte die Stirn. «Was wollte er?»
    «Was er immer will.» Bardolf seufzte erneut. «Er liegt uns schon seit Wochen in den Ohren, dass er dich mit seinem Gesellen Gort zu verheiraten wünscht.»
    «Gort Bart?» Unwillig verzog Marysa das Gesicht. «Der ist wirklich ein Barom , ein blöder Hund! Er ist ungewaschen und kann nicht einmal während der Heiligen Messe aufhören, den Weibern nachzugaffen. Ausgerechnet den soll ich heiraten?» Auch Marysas Stimme war nun bedrohlich scharf geworden.
    Bardolf hob beschwichtigend beide Hände. «Bitte, Marysa, nun fang du nicht auch noch an. Hab Erbarmen mit einem armen Mann!»
    Marysa beruhigte sich wieder, und um ihre Mundwinkel zuckte es. «Was hast du zu Hartwig gesagt?»
    Erleichtert, dass sich wenigstens das zweite Ungewitter verflüchtigt hatte, antwortete er: «Das, was ich ihm immer wieder sage. Als Stiefvater habe nur ich das Recht, mich um deine Vermählung zu kümmern. Und dementsprechend werde auch ich allein bestimmen, wer das Vergnügen haben wird, dein Gemahl zu werden.»
    Marysa schnaufte leicht empört, rang sich aber zu einem Lächeln durch. «Und wer wird das sein?»
    Bardolf tätschelte ihr die Wange. «Niemand, den du nicht willst, und auch erst dann, wenn du bereit dazu bist, mein Kind. Jetzt muss ich los, man erwartet mich in der Chorhalle.»
    «Habt ihr schon mit der Vergoldung der Schlusssteine begonnen?»
    Bardolf, der schon fast aus der Tür war, drehte sich noch einmal um. «Heute früh hat Piet mit dem ersten Stein angefangen. Aber wie ich vorhin hörte, gibt es Ärger, weil auch die Maler auf das Gerüst wollen.» Er verdrehte die Augen. «Wenn man sich nicht um alles selbst kümmert …» Zum Abschied hob er kurz die Hand. «Sieh dich vor, wenn du in die Stube gehst. Die Furie könnte noch immer Feuer spucken.»
    Marysa kicherte und sah ihrem Stiefvater voller Sympathie nach. Bardolf Goldschläger war ein gut aussehender Mann Ende dreißig, dessen dichtes blondes Haar an den Schläfen bereits leicht ergraute. Im vergangenen Sommer war er von einer langen Wanderschaft nach Aachen zurückgekehrt, um die Goldschmiede seines verstorbenen Vaters zu übernehmen. Damals begegnete er der noch recht jungen Witwe des Schreinbauers Gotthold Schrenger und war ihrer Schönheit, aber auch ihrem aufbrausenden ungarischen Temperament sofort erlegen. Noch im September desselben Jahres hatte die Hochzeit stattgefunden, und Marysa erfreute sich an ihrer tiefen und innigen Liebe, jedes Mal, wenn sie die beiden zusammen sah.
    Sie wollte gerade die Tür zur Stube öffnen, als hinter ihr das protestierende Weinen eines Säuglings ertönte. Gleich darauf vernahm sie die beruhigende Stimme der Amme, die Éliás mit einem leisen Singsang zu beruhigen versuchte.
    Die Stubentür öffnete sich, und Jolánda, mit noch immer vor Zorn geröteten Wangen, kam heraus. «Éliás? Ist mein Schätzchen schon wieder zurück? Was hast du denn, kedvenc . Mama kommt schon!» Sie eilte zur Kammer der Amme und hätte Marysa fast angerempelt.
    «Oh, du bist es!» Sie lächelte ihrer Tochter flüchtig zu und eilte zur Amme, die ihr Éliás in die Arme legte. Sofort hörte das Weinen auf. «Ja, ja, schon gut, mein süßer fiú », murmelte Jolánda und koste den Säugling zärtlich. «Musst nicht weinen. Mama ist ja da.»
    Erst als Éliás ein fröhliches Glucksen ausstieß, hob sie den Kopf und sah Marysa an. «Ich habe gar nicht mitbekommen, dass ihr schon zurück seid.» Aller Zorn war aus ihrem Gesicht gewichen. «Hattet ihr einen schönen Spaziergang?»
    «Nur bis es anfing zu regnen», antwortete Marysa und folgte ihrer Mutter zurück in die Stube, wo sie sich auf die gepolsterte Bank am großen Esstisch setzten. «Wie ich hörte, war Hartwig vorhin hier.»
    Jolándas Miene verfinsterte sich sofort wieder. «Gort Bart!» Sie spuckte den Namen regelrecht aus. «Er will dich mit Gort Bart verheiraten. Mit diesem ungepflegten Taugenichts! Ich habe Bardolf gesagt, er soll deinen Vetter hinauswerfen. Aber meinst du, er hört auf mich?»
    «Mutter, ich bin sicher, Bardolf hat für Hartwig die rechten Worte gefunden.» Marysa seufzte innerlich. Der Streit um die Vormundschaft über sie war kurz nach dem Tode ihres Gemahls, Reinold Markwardt, zwischen Bardolf und Hartwig entbrannt, und selbst nach über einem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher