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Der gläserne Schrein (German Edition)

Der gläserne Schrein (German Edition)

Titel: Der gläserne Schrein (German Edition)
Autoren: Petra Schier
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schoss ihr Vetter bereits auf sie zu und zog sie unsanft vom Stuhl hoch. «Was habe ich da soeben im Zunfthaus erfahren? Du hast dich verlobt?»
    Marysa entwand sich seinem Griff und funkelte ihn aufgebracht an. «Was soll das, Hartwig? Wie kommst du dazu, einfach hier einzudringen und uns beim Weihnachtsessen zu stören?»
    «Ich will sofort eine Antwort», brüllte Hartwig sie an. «Wer ist der Kerl? Wie kannst du es wagen, ihm hinter meinem Rücken ein Eheversprechen zu geben?»
    Marysa verschränkte die Arme vor dem Leib. «Kein Kerl, sondern ein Tischlergeselle aus Frankfurt. Ich habe mich nicht hinter deinem Rücken mit ihm verlobt, sondern genaugenommen nur das getan, was du von mir verlangt hast.»
    «Unverschämtes Weib!» Hartwig holte aus. Beinahe hätte er Marysa ins Gesicht geschlagen, doch sofort waren Milo und Jaromir an ihrer Seite. Auch der alte Grimold erhob sich ausgesprochen flink von seinem Sitzplatz. Angesichts der Überzahl an kräftigen Knechten ließ Hartwig die Hand wieder sinken. «Ich verlange, dass du Gort heiratest, nicht irgendeinen dahergelaufenen Wandergesellen.» Er packte Gort am Arm und schob ihn ein Stück vor. Gort ließ es mit sich geschehen, schwieg aber, was Hartwig noch mehr aufzubringen schien. «Nun mach schon das Maul auf, du Laffe», schnauzte er ihn an. «Du hast ihr zuerst einen Antrag gemacht, also hast du das Vorrecht und lässt es dir nicht von einem auswärtigen Gesellen streitig machen.»
    «Ich, ah …» Gort blickte zwischen Hartwig und Marysa hin und her, dann blieb sein Blick an Marysas rechter Hand hängen. Vorsichtig machte er einen Schritt rückwärts, wie um aus ihrer Reichweite zu gelangen. «Ist wohl so», quetschte er etwas hilflos heraus.
    «Dämlicher Ochse», brüllte Hartwig erneut los und starrte Marysa fuchsteufelswild an. «Du heiratest keinen Fremden aus Frankfurt, sondern Gort, der dir ein trefflicher Ehemann sein wird.»
    Marysa stieß ein spöttisches Schnauben aus. «Trefflich, o ja, gewiss, Hartwig. Ein trefflicher Esel ist er. Ich werde die Verlobung zu Christoph Schreinemaker nicht lösen, denn das wäre eine Sünde vor dem Herrn.»
    «Schreinemaker?» Hartwig spuckte den Namen geradezu aus. «Das werden wir ja sehen. So leicht lasse ich mich von einem Weib nicht ins Bockshorn jagen. Ich bin dein nächster männlicher Verwandter, ich habe die Vormundschaft, also bestimme ich, wann und mit wem du dich vermählst.»
    Marysa schüttelte den Kopf. «Du irrst dich, Hartwig. Meister Goldschläger ist mein Vormund, wie dir der Schöffenmeister, Reimar van Eupen, gerne bestätigen wird. Meister Goldschläger ist mit der Wahl meines zukünftigen Gatten einverstanden. Ich möchte dich jetzt bitten, unser Weihnachtsmahl nicht länger zu stören. Deine Gemahlin wartet sicher bereits ebenfalls mit dem Essen, nicht wahr?» Demonstrativ setzte sie sich wieder an den Tisch und wandte ihrem Vetter den Rücken zu.
    Hartwig stieß einen unflätigen Fluch aus. «Du starrsinniges Weib», knurrte er mit drohendem Unterton. «Aber das ist nicht das letzte Wort. Wir werden ja sehen, wer in dieser Familie das Sagen hat.» Damit drehte er sich auf dem Absatz um und rauschte zornig aus dem Raum.
***
    «Was um alles in der Welt hast du dir dabei gedacht?», fragte Jolánda am Nachmittag, als sie ihrer Tochter die Einladung zu dem lange verschobenen Geburtstagsbankett für Bardolf überbrachte. «Wie konntest du Hartwig nur so unverschämt gegenübertreten? Er wäre Bardolf fast ins Gesicht gesprungen vor Zorn.»
    Marysa erwiderte die Umarmung ihrer Mutter kurz, dann trat sie einen Schritt zurück und versuchte zu lächeln, was jedoch kläglich scheiterte. «Ich habe ihm nur mitgeteilt, dass ich mich mit Christoph verlobt habe, damit er sich keine Hoffnungen mehr auf die Verbindung mit Gort macht. Soll ihn doch die Rüh befallen!»
    Jolánda seufzte und wandte sich um. Schweigend betrachtete sie die Girlanden aus Tannengrün, die die Wände und Fensterrahmen schmückten. «Du willst dieses Spielchen wirklich mitspielen, das Christophorus, äh, Christoph sich da ausgedacht hat?», ergriff sie schließlich das Wort. «Weißt du, wie gefährlich das ist?»
    Marysa sah ihre Mutter schweigend an, bis diese seufzte. «Was machst du, wenn er nicht zurückkehrt?»
    «Er wird wiederkommen. Ich weiß es», sagte Marysa und spürte in ihrem Herzen, dass es die Wahrheit war. «Du und Bardolf wart doch damit einverstanden, oder etwa nicht?» Marysa legte den Kopf auf die Seite.
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