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Der Gesang der Haut - Roman

Der Gesang der Haut - Roman

Titel: Der Gesang der Haut - Roman
Autoren: Picus-Verlag
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so viel Humor wie ein Bügeleisen. Er macht alles platt.
    Für eine Schüssel Salat und eine Platte geräucherten Lachs war der Tisch sehr aufwendig gedeckt, wilder Lachs, betonte Frau Gerlach, das Beste vom Besten. Wir haben uns keine Umstände gemacht, Sie sollen sich wie zu Hause fühlen. Tue ich, Frau Gerlach, danke schön für alles. Das Gespräch kreiste um eine, wie Gerlach sie nannte, hässliche Hetzkampagne gegen Ärzte. Es käme eine diffamierende Nachricht nach der anderen in die Medien. Korruptionsgeschichten und ungeklärte Todesfälle machten aus den Kliniken die privilegiertesten Tatorte der Bundesrepublik. Gerlach lachte, drehte die Augen zur Decke, schien dort oben weiteren Verbrechen nachzuspüren. Es ist so, sagte Henrietta Gerlach und trank mitten im Satz einen guten Schluck Wein, es ist so, dass nach Jahrhunderten des blinden Respekts gegenüber Ärzten jetzt nur noch Misstrauen und Rachelust herrschen. Mein armer Herr Doktor Weber, Sie beginnen Ihre Karriere in einer schlimmen Zeit. Ein kleiner Trost für uns Ausrangierte, hustete Gerlach, Prost! Er verschluckte sich, wurde knallrot, schien zu ersticken und brummte zu seiner Frau, die ihm auf den Rücken klopfte, jetzt hör bitte auf und wechseln wir das Thema. Eine junge Frau, flüsterte er, die Frau Sanderia, hat mich neulich besucht und wird … Apropos, stieß Frau Gerlach hervor, Apropos, Herr Doktor Weber, können Sie ein Geheimnis hüten? Wir hören nicht auf, weil Ärzte zu Prügelknaben der Nation werden – Gerlach hob den Kopf aus seiner Serviette –, sondern weil mein Mann krank ist. Alzheimer.
    Viktor öffnete den kauenden Mund, in dem zerfetzter Lachs sichtbar wurde. Er schauderte. Ist Ihnen kalt?, fragte Frau Gerlach, soll ich Ihnen einen Pullover von Gert holen? Quatsch! Trinken Sie doch lieber einen Schluck, brummte Gerlach, verdammt noch mal, lassen Sie sich nicht den Abend von der blöden Polizei versauen, und auch nicht von meiner Frau. Sie erzählt Unsinn. Also Henrietta, lass das, bitte. Viktor reichte gehorsam sein Glas und traute sich nicht nachzufragen. Die Stimme von Frau Gerlach klang jetzt feucht: Mir wäre ein kleinzelliger Krebs lieber gewesen als diese entwürdigende Geschichte. Ein Mensch ohne Gehirn ist nicht mehr wert als eine Flasche Wein ohne Korken, der Geist flüchtet, murmelte sie melancholisch und füllte Viktors Glas, der seinen Ohren nicht traute. Gerlach lachte böse oder verzweifelt: Henrietta, immer dieselbe Leier, du spinnst jetzt völlig. Viktor senkte die Augen vor dem nass werdenden Blick von Henrietta Gerlach, die, ihr Glas an den Lippen, kreischte: Alzheimer ist Scheiße. Sie trank aus. Ihre Wortwahl klang noch befremdlicherer als die Aussage. Viktor machte einen Versuch: Es gibt, sagte er, Medikamente, die den Alzheimer-Prozess verlangsamen. Und die Forschung … Die Forschung forscht, sagte Henrietta, das wissen wir. Ich hole den Nachtisch. Lieber Weber, sagte Gerlach, während seine Frau in die Küche ging, machen Sie sich um mich keine Sorgen. Meine Frau will mich krank haben. Dabei ist sie die, die bald ihre Tabletten mit den Bonbons ihrer Enkelin verwechseln wird.
    Hm, sagte Viktor. Ist sie auch krank?
    Was heißt »auch«? Sie ist krank, ich nicht. Ja, ich habe für sie die Praxis aufgegeben.
    Ich hoffe, es schmeckt Ihnen, sagte Frau Gerlach, die eine Schüssel Pudding brachte. Keine Chemie, alles selbst gemacht. Sie setzte sich wieder und seufzte tief: Wie schön, dass Sie uns besuchen, Herr Doktor Weber.
    Ihr Seufzer rührte keinen Zug in ihrem Gesicht, kein Nasenbeben, keine Stirnfalte, der Mund zeichnete nur einen dunklen Strich. Viktor bemerkte, dass sie sich über das Make-up gepudert, sich diskret mit Rouge die Wangenknochen betupft hatte, beige Creme wurde, als sie mit der Serviette über die Lippen fuhr, weggewischt, und die Mundpartie schimmerte heller als die Wangen. Sie legte sich eine Hand auf die Lippen, und mit ihrem erstarrten Blick erinnerte sie Viktor an den Affen, der im japanischen Trio von Hidari Jingoro das Verschweigen des Schlechten empfiehlt. Viktor sah auf ihre Nägel, die sie lang und rot lackiert trug.
    Es schmeckt prima, sagte er, super Pudding. Super Pudding, hallte Gerlach nach, und sein Lachen hatte etwas von der Farbe trockenen Blutes. Eine Stimmung dunkel wie Ruß hatte sich über den Tisch gelegt. Gerlach schlürfte hastig. Als seine Schale leer war, begann er ein Gespräch über Viktors Arbeit im Stuttgarter Krankenhaus, er benutzte viele
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