Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
Autoren: Abdallah Frangi
Vom Netzwerk:
Leute saßen zehn Jahre später bei uns auf der Veranda oder in den Zelten und ließen ihren Erinnerungen freien Lauf. Ich sog ihre Geschichten auf und konnte nie genug davon bekommen. Gleichgültig, in welcher Rolle, ob als Krieger, Stammesoberhaupt oder Familienvorstand  – dieser Vater war für uns Kinder eine nie versiegende Quelle des Stolzes, und durch sein Vorbild stellte er selbst die wirkungsvollste Erziehungsmaßnahme dar, denn Zweck und Ziel unserer Erziehung war Stolz. Wir sollten zu Menschen heranwachsen, die es unter ihrer Würde fänden, zu lügen oder zu betrügen. Die einfach zu stolz dazu wären, Schlechtes zu tun.
    So gesehen war er ein unvergleichlicher Vater, und mit diesem Mann hatte ich etwas gemeinsam, etwas, das mich gewissermaßen in seine Sphäre versetzte: eine Verletzung. Im Übrigen war an Gemeinsamkeiten natürlich nicht zu denken, als hätte ich es wagen dürfen, mich mit ihm zu vergleichen, und ich gebe zu, dass ich meinem Vater eher Verehrung als Liebe entgegenbrachte. Wen ich über alles liebte, das war sein jüngerer Bruder, mein lebenslustiger Onkel Abed Rabu.
    Dieser Onkel wohnte in der Nähe, war ähnlich groß gewachsen, ähnlich gut aussehend wie mein Vater, aber viel zugänglicher als er, ein Draufgänger, frisch verheiratet und noch kinderlos. Er adoptierte mich sozusagen, hatte immer für mich Zeit, kam einfach auf unser Grundstück geritten, hob mich auf sein schwarzbraunes Pferd und gab ihm die Sporen – und dann ging es los, im Galopp, hinein in das weite, offene Land. Er war ein ausgezeichneter Reiter, und wenn ich später in amerikanischen Western Indianer reiten sah, überkam mich noch einmal die Lust, die ich auf diesen Ausritten mit meinem Onkel verspürt hatte. Meist hatte er eine Schrotflinte dabei. Flog ein Vogelschwarm über uns hinweg, feuerte er im Reiten zwei, drei Schüsse ab, und ich musste vom Pferd springen und wie ein Jagdhund die getroffenen Vögel einsammeln.

    Onkel Abed Rabu liebte mich, und ich liebte ihn. Wenn wir uns, beide noch atemlos, irgendwo niedersetzten, strich er mir oft übers Haar und nannte mich »ars«, was so viel wie Streuner oder Herumtreiber bedeutet – eigentlich eine ziemlich abfällige Bezeichnung, die aus seinem Mund aber freundschaftlich und anerkennend klang.
    An einem solchen Tag mit ihm geriet ich, vermutlich auf der Suche nach einem Vogel, in ein Maisfeld und verirrte mich. Wenn ich mich so deutlich an diese Begebenheit erinnere, dann vielleicht deshalb, weil ich in diesem Maisfeld mit einer Angst Bekanntschaft machte, die mich bis heute begleitet. Der Mais stand dicht und hoch, er überragte mich, und ich verlor die Orientierung, lief in die eine, lief in die andere Richtung, aber der Mais hörte nicht auf, es gab kein Entrinnen, und mich überfiel die panische Angst eines Tiers, das in die Falle gegangen ist. Wenn ich später im Leben in einer gepanzerten Limousine saß, beschlich mich ein ähnliches Gefühl panischer Beklemmung, ich war machtlos dagegen und musste aussteigen, selbst wenn die Situation es ratsamer erscheinen ließ, im Fahrzeug sitzen zu bleiben. Kein Entrinnen … In meiner Not begann ich zu schreien. Irgendwann hörte mein Onkel diese Schreie und kam auf seinem Pferd durchs Maisfeld geritten wie ein rettender Engel.
    Am Vorabend des Tages, an dem meine Kindheit abrupt endete, ließ er mich in seinem Haus übernachten. Das kam gelegentlich vor, und es erfüllte mich mit Stolz, zu dieser Gesellschaft von Männern zu gehören, die dann bis tief in die Nacht vor seinem Haus saß, Mokka aus kleinen Tassen trank und Dinge besprach, von denen ich nichts verstand. Diesmal hatte ich einen besonderen Grund, bei ihm unterzuschlüpfen, denn an jenem Tag hatte ich mich ums Morgengebet gedrückt und fürchtete den Zorn meines Vaters. Als ich spätabends auf meiner Matratze neben seinem Bett lag, suchte ich aus Dankbarkeit dafür, dass er mir Zuflucht gewährt hatte, nach einem
Kosenamen für ihn, der ähnlich anrüchig wie »ars« klingen sollte und genauso scherzhaft gemeint war, und sagte vor dem Einschlafen zu ihm: »Amo (Onkel), du bist ein Hund.« Mein Scherz kam nicht gut an. »Hund« ist im Arabischen eines der übelsten Schimpfwörter, dem deutschen »Schwein« vergleichbar, und jetzt zürnte mir auch mein Onkel. Er sprang auf, packte mich und lieferte mich zu Hause ab, wir wohnten ja praktisch in Sichtweite.
    Am nächsten Tag ließ er sich nicht blicken. Es tat mir in der Seele weh, meinen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher